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Ode an die Genesung: Warum gute Erholung nach Corona so wichtig ist
Dunkel Hell

Ode an die Genesung: Warum gute Erholung nach Corona so wichtig ist

Marlene Amalie Magerl
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Es ist Dienstagmorgen. Der Wecker klingelt. Zugegebener Maßen schon das dritte Mal. Bevor ich mich jetzt nochmal umdrehe, rolle ich seitwärts aus dem Bett und stehe endlich auf. Mein Kopf fühlt sich an wie in Watte gepackt. Ich hätte trotz acht Stunden Schlaf sicher noch ein paar Stunden länger schlafen können. Auf dem Weg ins Bad setzen leichte, unangenehme Kopfschmerzen ein. Puh. Was ist das denn?

Ich schiebe mein Unwohlsein aufs Wochenende – ich war bei einem wunderschönen Event und hatte dadurch auch zwei Reisetage, vielleicht bin ich einfach noch etwas kaputt. Untypisch für mich, aber gut. Beim Einkremen merke ich, dass meine Haut berührungsempfindlich ist und beinahe weh tut. Bekomme ich jetzt Fieber? Das kann doch nicht sein…

Ich ignoriere meine Symptome und frage mich stattdessen, ob ich wohl zu spinnen anfange. Nach einem verkürzten Morgenritual schleppe ich mich mit extra Kaffee an den Schreibtisch und merke schon, wie mir zunehmend kalt wird. Das erste Meeting ziehe ich mit Schüttelfrost, dicken Socken und einer Decke über dem Schoß noch durch, bevor ich fiebrig und völlig fertig auf die Couch falle.

Am nächsten Tag zeigt mein Test ganz deutlich: Corona – jetzt? Ende Juni?! Na toll. Da ich sowieso nichts tun kann, fällt es mir nicht schwer, einfach liegen zu bleiben und den Rest zu vergessen. Schnell noch eine Abwesenheitsnotiz ins Mailprogramm speichern, die wichtigsten Leute anfunken und dann ab ins Bett. Da lag ich dann auch eine Woche.

Meine Genesung hat bis jetzt fast drei Wochen gedauert und es ist noch kein Ende in Sicht. Nach fast zwei Wochen traute ich mich das erste Mal wieder vor die Tür und begann, meine Arbeit langsam wieder aufzunehmen. Die Symptome halten jedoch bis heute an: Ich habe ein Zeitfenster von nur ca. 3-4 Stunden pro Tag, in dem ich produktiv sein kann. Danach ist die Konzentration weg. Ansonsten begleiten mich Kopfschmerzen, Müdigkeit und eine tendierende Apathie durch den Tag. Mein Alltag, der so voll ist von spannenden Projekten, kostet mich unheimlich viel Energie.

Warum teile ich diese Erfahrung? Weil dies eine geteilte Erfahrung ist, die sehr viele Menschen derzeit machen müssen. Weil ich seit einigen Wochen am eigenen Leib erlebe, wie schwer es ist, die Genesung zu priorisieren, ohne sich dabei schlecht zu fühlen und das eigene Erleben nicht ständig in Frage zu stellen.

Dazu meine Erkenntnisse:

1. Die Welt geht nicht unter, wenn wir mal nicht können.

Ich gehöre ganz klar zu denjenigen, die sich disziplinieren müssen, um zur geplanten Zeit wirklich den Stift fallen zu lassen. Dazu kommt, dass ich durch meine breit gefächerten Projekte immer Arbeit habe. Nach der ersten Woche Corona im Bett schlich sich recht schnell wieder der Druck ein, arbeiten zu müssen. Das Gefühl, mein Momentum in Business, Forschung und Studium zu verlieren, wenn ich noch länger ausfalle. Die Angst, dass ich kürzlich hergestellte Businesskontakte verliere. Das ist ein bekanntes Phänomen in unserer Leistungsgesellschaft, in der wir sowieso konstant das Gefühl haben, es sei bereits fünf vor zwölf und wir hätten schon gestern viel weiter sein müssen als wir es heute sind. In der Präsentismus leider noch viel zu sehr geschätzt wird.

Was ist letztlich geschehen? Gar nichts. Ich habe konsequent und zeitnah meine Termine abgesagt, oder in weite Ferne verschoben. Die Reaktionen waren freundlich und verständnisvoll: Wie immer macht der Ton die Musik.

Dazu hier meine Vorlage, welche ich in abgewandelter Form regelmäßig nutze:

Liebe*r xyz, leider bin ich an Corona erkrankt und muss unser Meeting am xx.xx.xxxx deshalb absagen – auch wenn ich es total schade finde. Ich melde mich wieder, sobald es mir besser geht, damit wir einen neuen Termin finden können. Bei dringenden Fragen kannst Du Dich gerne an diese Person wenden / findest Du hier weitere Informationen zu unserem Besprechungsthema. Ich freue mich, wenn wir ganz bald sprechen. Viele liebe Grüße, Marlene

Letztlich war der einzige Verlust durch meine Krankheit auf der Ebene meiner Gesundheit und meines Wohlbefindens zu finden. Das Geschäftliche hat sich jetzt zwar alles etwas nach hinten verschoben, aber ich profitiere davon, freundlich und ehrlich im Umgang mit meinen Kontakten zu sein: Das zahlt sich aus. Im Ergebnis hat sich bei mir inzwischen sowas wie eine entspannte Gelassenheit eingestellt, denn ich kann die Situation eh nicht ändern – mein Körper streikt. Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass mein Ergebnis viel weniger zeitabhängig ist, als ich vermutet habe. In Zukunft wird es mir sicher leichter fallen, meine Arbeitszeiten einzuhalten.

2. Es geht nicht nur mir so: Corona verlangt Zeit.

Ich habe in den letzten Tagen immer wieder das Gefühl gehabt, es sei doch einfach unmöglich, dass ich noch immer nicht fit bin. Es kann doch nicht sein kann, dass ich mit Kopfweh wach werde, obwohl es mir gestern viel besser ging. Vor allem meine Konzentrationsschwierigkeiten und die Kopfschmerzen nerven total. Ich ertappe mich regelmäßig bei dem Gedanken, dass der Fehler bei mir liegt. Dass ich mich “anstelle”, dass ich “übertreibe”, dass ich halt einfach “durchziehen muss”. Spätestens am späten Nachmittag holen mich dann die Symptome regelmäßig ein. Ich habe mich der Situation inzwischen ergeben.

Auch bei leichten Coronaverläufen dauert der Genesungsprozess einfach lange. Selbst, wenn wir kein Long Covid bekommen. Das kommt übrigens auch bei den leichten Verläufen ziemlich häufig vor und umfasst unter anderem die hier beschriebenen Symptome, wie Antriebslosigkeit, Konzentrationsprobleme, Müdigkeit, anhaltenden Husten, Energiemangel. Das Einzige, was wirklich hilft, ist Ruhe. Dabei ist auch zu beachten, dass die Symptome gern fluktuieren: Es geht auf und ab, statt stetig besser zu werden. Das kann unheimlich frustrierend sein.

Es fällt schwer, sich die Zeit zum Ausruhen zu nehmen. Seit mir klar ist, dass mir niemand einen Strick daraus dreht, wenn ich es tue, fällt es etwas leichter. Was mir auch hilft, ist der offene Austausch mit Vertrauten, die selbst Corona durchgemacht haben. Hier hat sich Offenheit ebenfalls bewährt. Erst kürzlich hatte ich in einem Telefonat kurz erwähnt, dass ich momentan keine Termine nach 15 Uhr wegen Corona-Nachwehen annehme. Völlig überraschend sprach mir mein Gesprächspartner sein Verständnis aus, denn auch er hatte nach seiner Infektion lange noch mit den Folgen zu kämpfen.

3. Ich darf mich auf mich selbst verlassen.

Vor allem, wenn ich an mir zweifle und mein innerer Antreiber schon die Peitsche schwingen will, frage ich mich: Was würde ich meiner besten Freundin raten? Dieser Gedanke erlaubt es, dass ich die Situation für einen Moment aus der Metaebene betrachte. Wer müde ist und Kopfschmerzen hat, gehört nicht an den Schreibtisch oder in einen Termin, sondern ins Bett. Wenn ich jetzt meine beste Freundin wäre, was würde ich mir selbst ans Herz legen? Was würde ich vorschlagen?

Siehe auch
Selbstsabotage im Business-Artikelbild

Es ist so wichtig, dass wir uns selbst gute Freund*innen sind. Das hilft dabei, gnädiger und großzügiger mit uns selbst zu sein. Und es sorgt dafür, dass wir automatisch besser für uns selbst sorgen. Mein Gefühl, nicht fit zu sein, rührt nicht daher, dass ich weinerlich, schwach oder faul bin. Es ist echt. Das darf ich mir glauben in dem Moment, wenn ich es fühle und dann entsprechende Konsequenzen ziehen.

Wenn mich die Zweifel doch zu sehr einnehmen, rufe ich Freund*innen an, die auch Corona hatten und frage nach, ob es ihnen auch so gegangen ist. Da so viele meine Erfahrungen offenbar teilen, habe ich diese Gespräche jetzt auch auf vertraute Geschäftspartner*innen und Kolleg*innen ausgeweitet. Es erstaunt mich immer wieder, wie vielen es doch so ähnlich ging, ohne, dass sie jemals offen darüber gesprochen haben. Auch einer der Gründe, warum ich diesen Artikel schreibe.

4. Ich werde niemandem gerecht, wenn ich krank arbeite.

Wenn ich nur mit 50% oder sogar 80% meiner normalen Energie in Meetings, an den Schreibtisch oder zu Veranstaltungen gehe, kann ich nie mein Bestes geben und muss mich für eine annehmbare Leistung viel weiter strecken. Was wird passieren? Meine Gesprächspartner*innen werden keine überzeugende Marlene präsentiert bekommen. Würde ich wollen, dass mein Gegenüber leicht angeschlagen in wichtige Gespräche mit mir geht, oder meine Veranstaltung besucht? Eher nicht. Ich würde mir ebenfalls wünschen, dass diese Person fit und ausgeruht mit mir spricht, vor allem wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen.

Außerdem werde ich auch meinem eigenen Anspruch mit Sicherheit nicht gerecht. Das wird dafür sorgen, dass ich noch härter zu arbeiten versuche, um die Diskrepanz zu verkleinern. Nach dem Pareto-Prinzip wird das letztlich nur dafür sorgen, dass ich viel Energie verbrenne bei wenig Effekt. Dadurch wird mein Erholungsbedarf nach so einem Tag noch weiter steigen, denn ich werde meine Energiereserven überziehen und in eine Art Energie-Dispo rutschen. Das rächt sich in den nächsten Tagen garantiert und wird meine Erholung nur herauszögern.

5. Es ist unsouverän, schwammige Entscheidungen zu treffen.

Ich bin eine große Freundin von Klarheit. Und meine Geschäftspartner*innen ebenso. Klare, freundliche Aussagen sind wirkungsstark, lassen mich kompetent erscheinen und zeugen von meiner Selbstwirksamkeit. Gerade als Coach für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz sind klare Grenzen rund um meine Gesundheit Teil meiner Marke geworden. Ganz nach dem Motto: „Practice what you preach.“

Natürlich hilft es mir, als angehende Ärztin häufig schnell eine Einschätzung über meine Situation zu haben. Als Daumenregel: Wenn ich heute krank bin, sage ich auch für morgen alles ab. Jetzt im Genesungsprozess mit langsam zunehmender Gesundheit lasse ich auch mein Pensum langsam wieder größer werden. Dabei notiere ich mir genau, wie lange ich produktiv war und was ich geschafft habe. Ich plane also quasi rückwärts. Das hilft mir, meine voraussichtliche Leistungsfähigkeit der nächsten Tage und Wochen realistischer einzuschätzen. Dann treffe ich wieder schnelle, klare Entscheidungen und kommuniziere deutlich.

Letzten Endes ist eines völlig klar: Ohne Gesundheit geht einfach gar nichts im Leben. Daher ist es so befremdlich, dass wir unser Wohlsein regelmäßig noch als Nebensache deklarieren und Menschen, die ihre Bedürfnisse ehren, als weniger engagiert wahrnehmen oder sie nicht ernstnehmen. Letztlich wird es sich immer rächen, wenn wir unsere Gesundheit hintenanstellen. Unsere beruflichen Ziele und privaten Projekte haben in der Regel mehr Zeit als wir denken.

Also nehmt Euch die Zeit, Euch gut zu erholen, wenn Ihr krank seid. Vertraut auf Euer Gefühl, wenn es Euch nicht so gut geht. Kommuniziert Eure Entscheidungen dabei klar und freundlich. Dann könnt Ihr umso schneller wieder mit voller Energie in Eure Projekte starten!

Über die Autorin

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Marlene glaubt fest daran, dass eine menschliche, inklusive Wirtschaft produktiver und profitabler ist. Wer heute seine Branche revolutionieren will, wird sich um seine größte Ressource bemühen müssen: Die Mitarbeitenden!

Dieses Thema geht sie aus verschiedenen Perspektiven an: Marlene ist zertifizierte systemische Beraterin und Business Coach mit zusätzlichem Schwerpunkt auf systemischer Organisationsberatung und Organisationsentwicklung. Sie hat an renommierten Universitäten Wirtschaft und Medizin studiert, unter anderem an der Universität Groningen und in Cambridge. Zudem ist sie Teil der Geschäftsführung im Familienunternehmen Koamed, einem Dienstleister für Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit. Neben ihrer unternehmerischen Tätigkeit forscht Marlene zu Arbeit und psychischer Gesundheit bei jungen Erwachsenen an der Universität Groningen und ist angehende Ärztin.

Marlene will die Wirtschaft menschlicher machen und ihre Klient*innen für die Arbeitswelt der Zukunft wappnen!

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