Ein Kommentar für mehr Respekt und gegen jegliche Form von Diskriminierung sowie Frauenhass.
Seit der Bekanntmachung der angestrebten Kanzlerinnenschaft Annalena Baerbocks im April 2021 ist diese nicht nur Spott und Häme ausgesetzt. Es ist vor allem Hass, der ihr in sämtlichen Medien, allen voran den sozialen Netzwerken entgegengebracht wird.
Dabei kommt Frauenfeindlichkeit und Frauenhass zunächst unaufgeregt und fast beiläufig daher:
So sei das höchste politische Amt Deutschlands als zweifache Mutter wohl kaum zu stemmen. Der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl war ebenso zweifacher Vater. Beide Kinder waren im Teenager-Alter, als Helmut Kohl zum Bundeskanzler ernannt wurde. Interessiert hat dieser Zusammenhang niemanden. Bei Gerhard Schröder verhält es sich ebenso. Wenngleich er keine leiblichen Kinder hatte, fungierte er als Stiefvater und adoptierte ein Mädchen noch während seiner Kanzlerschaft. Wie er das alles unter einen Hut bekommen hat? Wir wissen es nicht und es sagt auch recht wenig über seine politische Karriere aus.
Es beschleicht mich das Gefühl, dass hierbei mit zweierlei Maß gemessen wird und was noch verwerflicher ist: Es wird sich das Recht herausgenommen, übergriffig zu werden und jeden einzelnen Schritt einer erfolgreichen Frau zu kritisieren. Und wäre es nur sachliche Kritik, dann bräuchte es diesen Artikel nicht.
Twitter-Nachrichten im Bundeswahlkampf tun ihr übriges und zeigen nicht nur ein veraltetes Rollenverständnis, sondern frauenfeindliche Anschauungen, die Politikerinnen an den Rand drängen sollen.
Der Horrortrip einer Vorbildfrau
Die Tirade geht leider weiter. Da wären die geschmacklosen und sexistischen Fotomontagen einer Kanzlerkandidatin, die Stigmatisierung als Verbots-Politikern in Form der INSM-Werbekampagne, zahllose Morddrohungen sowie frauenverachtende Hasskommentare und das Absprechen der fachlichen Kompetenz, die uns klar machen sollen, welch ein Unmensch diese Person des öffentlichen Lebens doch ist. Plagiatsvorwürfe und sprachliche Aussetzer werden mit höchster Verachtung bestraft, eine Entschuldigung oder Erklärungen sind infolgedessen nicht mehr relevant. Um ein wenig Whataboutism zu betreiben: Wie oft haben sich eigentlich männliche Politiker für ihr Fehlverhalten öffentlich entschuldigt? Nun kann man entgegnen, dass dieser Spott nicht ohne Grund auf Frau Baerbock einprasselt. Schlechte Zitation, kopierte Textpassagen und sprachliche Aussetzer sind Themen, die besonders im Wahlkampf große Beachtung finden. Dennoch fehlt hierbei jede Verhältnismäßigkeit.
Frau Baerbock ist noch keine hundert Tage als Außenministerin im Amt und schon ist sie als Teil der neuen Bundesregierung gescheitert. Ihr Englisch mit Akzent ist nicht professionell genug und die Kleidung ist mal dem Zweck angemessen und dann wiederrum eher unpassend. Ich könnte an dieser Stelle unzählige weitere Beispiele ins Feld führen und es würde meinen Appell nur noch weiter verstärken: Stop the Baerbock-Bashing, stoppt den Frauenhass!
Der ungleiche Kampf gegen Frauenhass
Dies gilt insbesondere bei Straftatbeständen, wie dem ausdauernden Hate-Speech-Verfahren von Renate Künast. “Stück Scheiße”, “Drecks Fotze” oder Geisteskranke” seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt, so ein erstes Gerichtsurteil, welches später in Teilen aufgehoben wurde. Besonders in diesem Fall hat sich gezeigt, dass das Netz kein rechtsfreier Raum sein darf.
Politker*innen stehen seit Jahren diesen Angriffen gegenüber, vor allem in jüngster Zeit nehmen Tötungsaufrufe und sonstige Mordfantasien zu. Bei weiblichen Vertreterinnen sind es oft sexuelle Gewaltfantasien, pornografische Inhalte oder haarsträubende Falschinformationen, die massenhaft verbreitet werden.
Beispiele für genderspezifische Diskriminierung sowie Desinformation gefällig?
- Brigitte Macron, die Frau des französischen Präsidenten sei in Wahrheit ein Mann
- Jacinda Ardern, die Premierministerin Neuseelands soll Crack geraucht haben
- Die ehemalige First Lady Michelle Obama sei ein Mann oder eine Transfrau
- Laura Boldrini, damalige italienische Parlamentspräsidentin, soll im Fernsehen in Unterwäsche getanzt haben
- Annalena Baerbock habe in ihrer Jugend Nacktbilder von sich veröffentlicht
- Kamala Harris sei gar nicht gegen Covid-19 geimpft worden, weil bei der Impfung keine Nadel zu sehen ist
Aufbrechende Genderrollen haben bereits in der Vergangenheit zu Hass, Ablehnung und Falschmeldungen geführt, doch durch die sozialen Medien und der damit einhergehenden Anonymität sind diese Angriffe omnipräsent. Selbst bei allgemeingültiger Gesetzeslage, wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG (auch Facebook-Gesetz genannt) gilt es abzuwarten, ob Hassrede und Frauenhass dadurch gebremst werden können, da Kommentare sowie Posts zwar gelöscht werden, die Täter*innen allerdings in den wenigsten Fällen ermittelt werden können. Nutzerinnen und Nutzer, die beleidigen, diskriminieren, Hass schüren oder Falschaussagen tätigen, haben schlichtweg keine Konsequenzen zu fürchten. Nutzer*innen müssen sich bei Facebook, Instagram, Twitter, TikTok & Co. nicht mit Klarnamen registrieren und eine Identitätsprüfung findet ebenso nicht statt. Wer heute Hass schürt und gesperrt wird, kann morgen unter einem anderen Pseudonym direkt damit fortfahren.
Das Problem ist größer als Frau Baerbock – Frauenhass ist systemisch
Nun ist Frau Baerbock mit zahllosen Anfeindungen nicht allein. Sie erfreut sich bester Gesellschaft. Jeder Mensch, der sich bereits für die Rechte von Minderheiten, für die Bewältigung von Krisen oder für eine bessere Welt eingesetzt hat, wurde bereits von Teilen der Gesellschaft auf Herz und Nieren geprüft und wenn nötig mit der moralischen sowie sprachlichen Keule gemaßregelt. Greta Thunberg wurde mit sexuellen Übergriffen und Tod in Form einer erhängten Puppe gedroht, Angela Merkel als Volksverräterin und Nationalsozialistin bezeichnet und viele weitere Frauen, die für mehr Rechte und die Teilhabe von Mädchen und Frauen eingetreten sind, sind ständigem Hass ausgesetzt. Dieses Vorgehen, diese Frauenfeindlichkeit (Misogynie) haben System, sind strukturell in unserer Gesellschaft verankert und benötigen dringend ein Gegenkonzept. Es sind jedoch nicht nur die öffentlich gemachten Attacken, die Sorgen bereiten sollten, sondern ebenso die täglichen Anfeindungen und (Todes-)Drohungen, die im Social Media-Kosmos untergehen.
Mein Vorschlag für mehr Respekt und weniger Hass
Ganz gleich welches Geschlecht wir selbst besitzen oder wem wir analog oder virtuell gegenüberstehen: Wir haben zu jeder Zeit die Entscheidung zu treffen, ob wir für oder gegen etwas sind und ob wir diesen anderen Menschen bewerten, ohne ihn in Gänze zu kennen. Sich miteinander zu beschäftigen, einander zuzuhören sowie die Nutzung gewaltfreier Sprache können dazu beitragen, diesem Hass und der Hate Speech entgegenzutreten. Verachtende, sexistische, diskriminierende oder rassistische Aussagen dürfen nicht stehen gelassen werden, sondern müssen angesprochen und konsequent verurteilt werden.
Dies betrifft vor allem mein eigenes Geschlecht, denn Frauenrechte sind Menschenrechte und wir alle sollten uns für Gleichberechtigung einsetzen. Letztlich hinterfrage ich auch mein Verhalten: Wenn ich schweige, verschämt mitmache oder etwas ignoriere – Welches Bild vermittle ich damit? Natürlich ist das unangenehm und erfordert auch die Bereitschaft, sich aus seiner eigenen Komfortzone zu bewegen sowie bestehende Rollenbilder zu hinterfragen.
Was können wir also konkret tun?
- Lasst uns respektvoll und geduldiger miteinander umgehen
- Stellt Falschaussagen richtig und verbreitet selbst keine Fake-News
- Macht diffamierende Sprache öffentlich und ignoriert keine Ungleichbehandlungen
- Zeigt Hassrede, Beleidigungen sowie Hasskriminalität an
- Zeigt Solidarität mit bedrohten Frauen und bezieht Stellung gegenüber Sexismus und Frauenhass
- Unterstützt Frauen in jeder Situation und engagiert euch (der nette Herrenwitz ist nicht mehr ganz so witzig, wenn man berücksichtigt, dass Frauen ihn dauerhaft hören/ertragen müssen)
- Zeigt Haltung, indem ihr euch dem „Rudelverhalten“ widersetzt und klare Kante gegen solch geschmacklose Kommentare zeigt
Hass ist und bleibt keine Meinung!
Organisationen, die sich gezielt für die Betroffenen von Hatespeech oder Hasskriminalität einsetzen:
- HateAid – Die erste Beratungsstelle Deutschlands gegen Hass im Netz
- Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen
- Gemeinsam gegen Sexismus
- Antidiskriminierungsstelle
- Council of Europe – Report Hatespeech
- Weisser Ring
- Victim Support Europe
- Victim Support United Kingdom
- Assistance for Victims of Crime, Government of Canada
- Equinet- the European Network of Equality Bodies
- The International Ombudsman Institute (IOI)
- The European Network of National Human Rights Institutions
(ENNHRI)
Bildquelle Artikelbild – Annalena Baerbock: gruene.de
Bildquelle Renate Künast: gruene-bundestag.de
Über die Autorin
Ich setze mich für die Gleichstellung von Frauen sowie anderen marginalisierten Gruppen ein. Zeitgleich übernehme ich für mein Geschlecht Verantwortung und engagiere mich für eine diverse, gerechtere sowie feministische Gesellschaft.
- Diese*r Autor*in hat bisher keine weiteren Beiträge.