Du liest gerade
Margarethe von Trotta: Eine Koryphäe der deutschen Filmgeschichte und ihre Hommage an Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste
Dunkel Hell

Margarethe von Trotta: Eine Koryphäe der deutschen Filmgeschichte und ihre Hommage an Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste

Kinga Bartczak
Margarethe von Trotta_©Manfred Breuersbrock_MFA+_Alamode Film

Wir freuen uns, heute im FemalExperts Role Model-Interview eine wahre Ikone des europäischen Kinos begrüßen zu dürfen: Margarethe von Trotta. Seit mehr als vier Jahrzehnten steht ihr Name synonym für mutiges, engagiertes und unabhängiges Filmemachen. Als Pionierin des neuen deutschen Films hat sie sich nicht nur als eine der wenigen weiblichen Stimmen in der Branche international durchgesetzt, sondern auch dafür gesorgt, dass diese Stimmen gehört werden. Von Trotta ist bekannt für ihre tiefgründigen und komplexen Darstellungen von Frauen, sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart. Ihre Filme behandeln oft Themen, wie Macht, Identität und die Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Ihr neuester Film “Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste” bleibt diesem Erbe treu und vermittelt die faszinierende Geschichte einer der bedeutendsten österreichischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.

Heute freuen wir uns darauf, mehr über Margarethe von Trottas Arbeit, ihre Einblicke in das Filmemachen und die kraftvolle Botschaft des Female Empowerments zu erfahren, die in jedem ihrer Filme mitschwingt.

Frau von Trotta, es ist mir eine außerordentliche Freude, Sie im Rahmen unseres Role Model Interviews unserer Community vorzustellen und ich möchte auch sogleich starten:

1. Sie sind eine der bedeutendsten Regisseurinnen in der Geschichte des deutschen Kinos. Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Position von Frauen in der Filmindustrie im Laufe Ihrer Karriere verändert?

Die einzige Frau, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland Filme machen konnte, war Leni Riefenstahl. Nach ihr wurde ich auch sogleich gefragt, als ich in Venedig 1981 einen Goldenen Löwen für meinen Film „Bleierne Zeit“ – Anni di Piombo – erhielt. Frage: Wie fühlen Sie sich als erste Frau nach Leni Riefenstahl?
In Venedig war ich die erste Regisseurin, die den Leone d’Oro bekam, aber es gab Regisseurinnen wie Liliana Cavani und Lina Wertmüller, die sehr wichtige und beachtete Filme gedreht hatten, lange bevor wir in Deutschland wach wurden, aber ich war nicht die einzige Regisseurin in Deutschland. In der Bundesrepublik Anfang der Siebziger Jahre gab es eine ganze Gruppe von Filmemacherinnen: Ula Stöckl, Helma Sanders-Brahms, Helke Sander, Jutta Brückner…um nur einige zu nennen, deren Arbeiten ich damals gesehen hatte, bevor ich, 1977, meinen ersten eigenen Film realisieren konnte. All diese Frauen hatten es sehr lange schwer, wahrgenommen zu werden und genauso „sichtbar“ zu sein, wie ihre männlichen Kollegen. Ihnen wurde das Etikett „Frauenfilm“ angeklebt, was eine gewisse Abwertung bedeutete. Heute, blickt man in die Runde, welche Filme im Kino laufen und welche Filme, – das ist in den letzten Jahren sehr offensichtlich geworden, – auf den großen Festivals gezeigt und auch prämiert werden, so sind es immer mehr Filme von Regisseurinnen. Ich warte auf die Zeit, wo ein Film allein durch seine Kraft und Originalität wahrgenommen wird und es keine Rolle mehr spielt, ob eine Frau oder ein Mann diesen Film gemacht hat. Weil es zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dass Frauen Filme machen KÖNNEN.

2. Sie selbst gehen hierbei als außerordentliches Beispiel für eine erfolgreiche Karriere in der Filmindustrie voran, stehen jedoch nicht nur mit Ihrer eigenen Biografie als Vorbild im Fokus, sondern auch im Hinblick auf das Porträtieren außergewöhnlicher starker, couragierter und unangepasster Frauen. Gibt es einen Rat, den sie aufstrebenden Regisseurinnen, Filmproduzentinnen oder Schauspielerinnen mit auf den Weg geben würden, um sich in der Filmindustrie dauerhaft erfolgreich durchzusetzen?

Die „außergewöhnlich starken, couragierten und unangepassten“ Frauen. Es sind nicht die einzigen, die ich in meinen Filmen portraitiert habe, aber sie werden wohl von den Zuschauer*innen besonders wahrgenommen. Ich kann da leider keine Ratschläge geben, außer: Vertrauen zu sich selbst zu haben, nicht auf die „Erfolgsergebnisse“ anderer zu schielen, sondern sich immer wieder fragen: Was erscheint MIR wichtig, was ist unter Umständen auch wichtig zu erzählen für die Zeit, in der wir leben. Filme machen, weil man berühmt werden möchte, ist der falsche Weg. Der richtige Weg ist, Filme zu machen, weil man davon überzeugt ist, anderen, und vielleicht im besonderen Frauen, etwas sagen zu können, das für sie selber und ihr Leben von Wichtigkeit sein könnte.

3. In Ihrer langen und erfolgreichen Karriere als Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin haben Sie sich immer wieder mit starken weiblichen Charakteren auseinandergesetzt. Wie wählen Sie die Frauen aus, die Sie porträtieren möchten?

Sehr oft werden mir diese Frauenportraits von außen angetragen, z.B. „Rosa Luxemburg“, – den Film wollte Fassbinder drehen. Erst nach seinem Tod kam sein Produzent zu mir, oder „Hannah Arendt“, auch ein Film, der mir von einem Produzenten-Freund nahe gebracht wurde. Ich habe zunächst vor diesen „Jahrhundert-Gestalten“ Angst. Je länger ich mich dann aber mit ihnen befasse, vor allem auch „Korrespondenzen“ in ihrem Wesen zu mir entdecken kann, werde ich mutiger.

4. Ihr neuester Film “Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste” widmet sich dieser großen österreichischen Schriftstellerin und Lyrikerin und porträtiert die Geschichte eines weiblichen Schreibens und Verstummens. Worin lag für Sie die besondere Faszination in der Darstellung dieser besonderen Frau?

Ingeborg Bachmanns Gedichte kannte ich, habe sie schon in der Schule gelesen und sie auch in einigen meiner Filme zitiert. Trotzdem wäre ich nicht auf die Idee gekommen, einen Film über sie zu machen. Dasselbe Problem: meine Hochachtung. Aber auch diesmal kam der Anstoß von außen, von einer Produzentin aus der Schweiz, Katrin Renz. Sie holte noch drei weitere Produzenten, mit denen ich Hannah Arendt gemacht hatte, ins Boot. Auch bei ihr habe ich mir erst einmal eine Bedenkzeit erbeten, um mich auf andere Weise, nicht nur als Leserin, mit Ingeborg Bachmann zu beschäftigen, bevor ich eingewilligt habe. Ich bin zwar mutig, so wirkt es auch immer nach außen, aber ich habe auch Angst, den Personen nicht gerecht werden zu können.

Siehe auch
Mach Schluss mit der Extraportion Mental Load vor Weihnachten-Artikelbild

5. Wie haben Sie sich vor und während des Filmprozesses mit der komplexen Persönlichkeit Ingeborg Bachmanns auseinandergesetzt, um sicherzustellen, dass ihr Charakter und ihre Geschichte authentisch dargestellt werden?

Ich habe noch einmal alles von ihr gelesen, auch das, was andere über sie geschrieben haben. Ich habe ihre Korrespondenz mit Paul Celan und Hans Werner Henze gelesen, habe versucht, Menschen zu treffen, die sie noch kannten, z.B. ihren jüngeren Bruder, der sehr freundlich und aufgeschlossen war. Bis ich herausgefunden habe, dass mich ihre Zeit mit Max Frisch am meisten „mitnahm“, weil beide zu Beginn glaubten, aneinander zu wachsen, und dann doch so schmerzlich scheiterten. Ob alles, was ich von ihnen beschreibe, auch zutrifft…der Film ist kein Dokumentarfilm, also habe ich eine gewisse Freiheit. Jedes Portrait kann immer nur eine Annäherung sein.

INGEBORG BACHMANN ©Anna Krieps_MFA+_Alamode Film
INGEBORG BACHMANN ©Anna Krieps_MFA+_Alamode Film

6. Wie hoffen Sie, dass das Publikum auf “Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste” reagiert und welche Botschaften möchten Sie den Zuschauenden mitgeben?

Ich habe keine Botschaften, ich kann jedes Mal nur hoffen, dass Menschen, die den Film anschauen, sich in ihren eigenen Wünschen und auch Enttäuschungen wiedererkennen.

7. Können Sie uns etwas über Ihre zukünftigen Projekte erzählen? Gibt es eine Geschichte, die ihrer Ansicht nach noch unbedingt erzählt werden sollte?

Noch habe ich kein Projekt, nur ein paar Ideen und vielleicht auch Wünsche, über die ich aber nicht sprechen möchte, solange ich ihrer nicht ein wenig gewisser bin.

Vielen Dank für diesen außerordentlichen und hochspannenden Einblick in die Welt der Regie und des Films. Unsere Leser*innenschaft besteht aus einer Vielfalt interessierter Frauen und ich bin mir sicher, dass die ein oder andere ebenfalls ihren Weg in die Filmindustrie finden wird. Wir freuen uns bereits auf die Filmpremiere Ihres neuesten Films: “Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste”.

Infos zur Filmpremiere

  • 19. Oktober 2023 Im Kino / 1 Std. 51 Min. / Drama, Biopic
  • Regie: Margarethe von Trotta
  • Drehbuch: Margarethe von Trotta
  • Besetzung: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch

Über die Autorin

Website | + Beiträge

Kinga Bartczak berät, coacht und schreibt zu Female Empowerment, neuer Arbeitskultur, Organisationsentwicklung systemischen Coaching und Personal Branding.

Zudem ist sie Geschäftsführerin der UnternehmerRebellen GmbH und Herausgeberin des FemalExperts Magazins.

Nach oben scrollen
Skip to content