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Tag der Depression: Neue Zuversicht finden
Dunkel Hell

Tag der Depression: Neue Zuversicht finden

Nora Hille
Tag der Depression Neue Zuversicht finden-Artikelbild

Auf die Suizidgefahr bei Depressionen wird kurz und sachlich (nicht szenisch) eingegangen, es werden Tipps und Hilfestellungen benannt.

Das Leben ist für mich zum Drahtseilakt geworden, jede Sekunde habe ich Angst zu fallen. Wer fängt mich auf? Wer beschützt mich? Wer ist da? Niemand. Ich halte das nicht aus! HILFE!

Diese Zeilen mit dem emotionalen Ausdruck einer tiefen Depression stammen aus meinem Tagebuch. Sie sind über 20 Jahre alt und spiegeln mittlerweile – zum Glück – nicht mehr mein Lebensgefühl wieder. Und doch geben sie uns einen Einblick, wie sich viele Menschen in unserer Gesellschaft täglich fühlen, denn Depressionen sind mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Tag der Depression am 1. Oktober

Sie gehören sogar zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten psychischen Erkrankungen! Derzeit sind in Deutschland 11,3 Prozent der Frauen und 5,1 Prozent der Männer betroffen. Frauen erkranken damit etwa doppelt so häufig an Depression wie Männer. Im Laufe eines Jahres sind insgesamt 8,2 Prozent der deutschen Bevölkerung erkrankt – also 5,3 Millionen Menschen.[1]

Der Tag der Depression am 1. Oktober rückt diese psychische Erkrankung in den Fokus der Öffentlichkeit, denn viele Betroffene gehen aus Scham beziehungsweise Selbststigma oder Unwissenheit nicht gleich zur Ärztin/zum Arzt und verlängern so das eigene Leid. Eine gute Öffentlichkeitsarbeit kann hier zur nötigen Aufklärung und Ermutigung beitragen.

Die gute Nachricht: Depressionen sind behandel- und teilweise auch heilbar

Die gute Nachricht lautet: Depressionen sind eine behandelbare Erkrankung. Je früher sie erkannt werden und somit die Behandlung beginnt, desto größer die Heilungschancen. Dafür können Psychotherapie und Antidepressiva eingesetzt werden. Aber auch Reha-Sport für Menschen mit psychischen Erkrankungen und andere Maßnahmen können sich positiv auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken. Deswegen ist es auch so wichtig, frühestmöglich professionelle Hilfe zu suchen. Wenn man sich unsicher ist, ob das sich dauerhaft schlecht anfühlende Befinden tatsächlich eine Depression darstellt, kann man beispielsweise auf der Internetseite der Deutschen DepressionsLiga e.V. einen Online-Selbsttest durchführen, dessen Ergebnis eine erste Orientierung liefert.

Betroffene zeigen bei Social-Media-Kampagne Gesicht: Du bist nicht allein – Wir sind viele!

Gib Depressionen ein Gesicht-Nora Hille

Der 64jährige Kölner Mike Adamczak ist ebenfalls depressionserfahren. Doch sich einfach dem eigenen Leid tatenlos ergeben? Trotz seines eigenen Ringens mit der Erkrankung und mancher schwarzer Tage ist das einfach nicht sein Ding. Und so startete Mike am 1. Mai 2021 seine Kampagne „Gib Depressionen ein Gesicht“ für mehr Toleranz gegenüber psychischen Erkrankungen, an der sich mittlerweile schon über 2.500 Betroffene beteiligt haben. Auch ich war mit dem Zusatz „bipolare Depression“ vor genau einem Jahr dabei.

Die Kampagnen-Fotos mit Namen der Betroffenen werden auf verschiedenen Social Media- Kanälen gezeigt, darunter Facebook, Instagram, X (ehemals Twitter), Google, VERO, YouTube sowie TikTok und erreichen so täglich viele Menschen.

Mehr über den Kampagnen-Starter

Mike Adamczak
Mike Adamczak

Doch wie fühlt sich seine eigene Erkrankung für Mike Adamczak an? Er sagt selbst hierzu: „Für mich ist meine Depression wie eine ungeliebte Tante, die ohne Einladung plötzlich vor meiner Tür steht, sich bei mir zum Kaffee einlädt und dann ohne Punkt und Komma nur von sich erzählt. Und ich kann nicht die Kraft aufbringen, sie einfach rauszuschmeißen.“

Seine Motivation für die Kampagne beschreibt Mike Adamczak folgendermaßen: „Eine Depression kann jeden, jederzeit und überall treffen. Solange Depressionen und Panikattacken mit ,Spinnerei’ und ,Stell dich nicht so an’ abgetan werden, wird sich auch nichts ändern und Betroffene werden sich weiter schämen und allein im Stillen leiden. Dagegen will ich angehen und zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beitragen.“

Mitmachen bei „Gib Depressionen ein Gesicht“

Menschen mit Depressionen sind nicht allein – auch wenn sie sich häufig genauso fühlen. Kennst Du in Deinem Umfeld Betroffene? Dann lade sie gern zu dieser wichtigen Kampagne „Gib Depressionen ein Gesicht“ ein. Du bist selbst erkrankt? Dann zeige, wenn du es möchtest, dass du dazu gehörst, und werde so zur/zum Mutmacher*in für andere: Sende ein Foto mit deinem Vor- und Nachnamen per E-Mail und einem Satz, dass du mit der Veröffentlichung deines Bildes im Rahmen der Kampagne einverstanden bist an: gib-depressionen-ein-gesicht@web.de

Auch Fragen zur Kampagne beantwortet Mike Adamczak gern unter dieser E-Mail-Adresse.

Bipolare Depression, die (immer noch) kaum bekannte Schwester

Was beim Thema Depressionen meist unerwähnt bleibt, ja regelrecht unterschlagen wird, ist das Krankheitsbild der Bipolaren Störungen. Und eben deswegen müssen wir aus meiner Sicht am Tag der Depression auch unbedingt über dieses „verwandte“ Krankheitsbild sprechen und aufklären – gerade, weil es bei der Diagnose zu Verwechselungen kommen kann (unten mehr). Typisch für eine Bipolare Störung sind verschiedene wiederkehrende extreme emotionale Phasen, wie (Hypo)-Manie, gemischte Zustände, aber eben auch Depressionen, zumeist im Wechsel mit stabileren Lebensphasen. In Deutschland sind rund 4 Millionen Menschen so wie ich von einer bipolaren Erkrankung betroffen und damit ebenfalls depressionserfahren.[2]

Gerade für Menschen mit der Diagnose Depression wichtig zu wissen: Die Bipolare Störung wird anfangs häufig mit einer unipolaren Depression verwechselt. Im Schnitt wird die bipolare Erkrankung erst nach 10 Jahren korrekt diagnostiziert und behandelt, was individuelles Leid verlängern kann. Deswegen liegt es mir auch so sehr am Herzen, die Bipolare Störung gerade unter Menschen mit depressiver Erkrankung bekannter zu machen. Ausführliche Informationen über das Krankheitsbild für Betroffene wie auch für Angehörige und Freunde finden sich auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V., deren Mitglied ich bin.

Wie sich Depressionen anfühlen, selbst wenn manche Betroffene hochfunktional bleiben

An das einleitende Zitat aus meinem Tagebuch schließt sich ein Gedicht an, das noch mal sehr drastisch zeigt, wie sich ein von bipolarer (und damit genauso ein von unipolarer Depressionen betroffener) Mensch fühlen kann:

Lautlos
mein Schrei
in der Dämmerung
Kein Licht
Kein Halt
Keine Hand
Allein
sich selbst ausgesetzt
verloren
im Einbruch
der Dunkelheit

Tatsächlich bin ich in dem Jahrzehnt von Anfang 20 bis Anfang 30 mit schweren unbehandelten Depressionen durch mein Leben gegangen, habe mein Studium abgeschlossen und bin erfolgreich in den Beruf gestartet. Im Äußeren also hochfunktional, im Inneren Finsternis und dieses immense Leid der Depression, häufig verbunden mit Suizidgedanken. Und genau so ergeht es vielen anderen Depressionserkrankten ebenfalls mit dieser „unsichtbaren“ Erkrankung, die einen an bestimmten Tagen so sehr lahm legen kann, dass man kaum noch sprechen oder sich bewegen kann. Beide Zustände: hochfunktional, genauso wie zu nichts mehr in der Lage zu sein, habe ich kennengelernt und durchlitten.

Wieder Zuversicht finden

Die Wende brachte bei mir ein Burnout mit Anfang 30 und die dann einsetzende erste Therapie, durch die ich meinem Rucksack an Vergangenheit zu einem Großteil aufarbeiten und neue Zuversicht finden konnte. Plötzlich tauchten in meinem Meer der Depression langsam wachsende Inseln der Zuversicht auf, mein Inneres wurde heller und heller. Was für eine immense Erleichterung zu spüren, wie die Depression mich nach so vielen Jahren nach und nach aus ihren Krallen entließ!

Und auch in späteren Jahren sollte Therapie mir helfen, meine Lebensqualität trotz der sich verstärkenden Symptome der bipolaren Erkrankung – wozu auch wiederkehrende Depressionen gehörten – zu steigern. Denn mentale Stärke kann wachsen, auch wenn die Symptome einer Erkrankung weiter bestehen. Mehr dazu in meinem Buch „Wenn Licht die Finsternis besiegt. Mit bipolarer Erkrankung Leben, Familie und Partnerschaft positiv gestalten“, erschienen bei Palomaa Publishing.

Siehe auch
Social Media-Mental Health-Digital Detox im Selbstversuch-Artikelbild

Bei eigener oder beobachteter Suizidgefahr

Das Team von Freunde fürs Leben
Das Team von Freunde fürs Leben; Foto von: Anni Reeh

Zuletzt noch ein sehr wichtiger und ernster Aspekt, wenn man über psychische Erkrankungen und speziell Depressionen schreibt: Jährlich sterben in Deutschland mehr als 9.000 Menschen durch Suizid – allein 500 davon sind Jugendliche und junge Erwachsene. Das rät das Team vom Suizidpräventionsverein „Freunde fürs Leben e.V.“ , wenn ein Mensch Suizidgedanken äußert oder wir diese bei ihm vermuten:

  • „geäußerte Suizidgedanken immer ernst nehmen,
  • sensibel das Thema ansprechen und keine Angst davor haben, Betroffene erst auf die Idee zu bringen,
  • durch das Darüber-Reden den Druck reduzieren und sich nahestehenden Menschen, Hausärzt*innen, der Telefonseelsorge oder anderen Hilfsangeboten gegenüber öffnen,
  • im akuten Notfall den Rettungswagen rufen und/oder Einweisung in eine psychiatrische Klinik vornehmen.“

Anlaufstellen und Hilfe für Betroffene und Angehörige

Oktober ganz im Zeichen der mentalen Gesundheit

Tag der Depression-hirncomic
Sarah Weitnauer, Psychologin und Autorin, ist der kreative Kopf hinter dem Instagram-Account @hirncomic, in dem sie humorvoll die Eigenheiten des Hirnes beleuchtet.

Der 1. Oktober ist der Tag der Depression. Weiter geht es dann am 10. Oktober mit dem Welttag der Psychischen Gesundheit – dieser bildet zugleich den Startschuss für die Woche der Seelischen Gesundheit vom 10. bis zum 20. Oktober, diesmal unter dem Motto: „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen“.

Doch so wichtig und hilfreich solche Gedenktage auch sind, um sich bedeutende Themen bewusst zu machen, ist es ebenso wichtig, den persönlichen Bezug herzustellen: Unsere mentale Gesundheit sollte auf unserer persönlichen Agenda an 365 Tagen im Jahr ganz oben stehen. Denn wer außer uns selbst kann sich um unsere Bedürfnisse, unser Wohlbefinden und um unsere eigene Seele kümmern? Wenn wir uns dann in schweren Lebensphasen oder bei psychischen Krisen beziehungsweise Erkrankung professionelle Hilfe holen, ist dies IMMER ein Zeichen von Stärke.

In diesem Sinne: Gebt gut auf Euch und Eure nächsten Menschen acht.

Alles Liebe

Eure Nora


[1] Quelle: Deutsche Depressionshilfe, 07_faktenblatt_depressionen-2.pdf, online unter: https://www.aok.de/pk/depressionen/ (Zugriff: 01.10.2023)

[2] Prof. Dr. med. Peter Bräunig: „Leben mit Bipolaren Störungen. Manisch-depressiv: Antworten auf die meistgestellten Fragen.“, TRIAS, Stuttgart, 3. Auflage 2018. S. 15.


Über die Autorin

+ Beiträge

Nora Hille, Jahrgang 1975, verheiratet, zwei Kinder. Studium Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaften. 12 Jahre Arbeit im Bereich Kommunikation/PR. Aus gesundheitlichen Gründen verrentet. Im August 2023 ist ihr Mutmachbuch „Wenn Licht die Finsternis besiegt. Mit bipolarer Erkrankung Leben, Familie und Partnerschaft positiv gestalten.” bei Palomaa Publishing erschienen.
Als Betroffene und Erfahrungsexpertin schreibt Nora Hille Artikel zu den Themen mentale Gesundheit und psychische Erkrankungen. Außerdem verfasst sie literarische Essays, Gedichte (sehr gerne Haikus) und Kurzprosa. Beim FemalExperts Magazin erscheint regelmäßig ihre Mental Health-Kolumne. Ihre Kolumne „Noras Nachtgedanken“ veröffentlicht sie beim Online-Magazin viaMag – Das Magazin für eine neue Trauerkultur. Anti-Stigma-Arbeit liegt Nora Hille am Herzen: Sie engagiert sich als Mutmacherin bei Mutmachleute e.V. und setzt sich mit ihren Anti-Stigma-Texten gegen die Stigmatisierung (Ausgrenzung) psychisch kranker Menschen in unserer Gesellschaft für mehr Miteinander, Toleranz und Gleichberechtigung ein. Nora Hille ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS).

Auf Instagram zu finden unter: @norahille_autorin

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