Wir freuen uns, heute exklusiv Veränderungsexpertin Lea Dingel im FemalExperts Role Model Interview begrüßen zu dürfen.
1. Liebe Lea, ich freue mich, dass du dich unserer Community heute vorstellst und starte sogleich los: Magst du uns zum Einstieg einen kleinen „Schnappschuss“ deiner Lebens- und Berufsbiografie geben?
Herzlichen Dank für die Einladung, liebe Kinga. „Veränderung“ zieht sich tatsächlich als Herzensthema wie ein roter Faden durch mein Leben – nicht erst seit meiner Transition zur Frau. Über 15 Jahre habe ich Veränderung in Großkonzernen und mittelständisch geprägten Tochterunternehmen vorangetrieben – die letzten 10 Jahre davon als Führungskraft im sogenannten Top-Management. Mein Tätigkeitsfeld war lange die Transport- und Nahverkehrsbranche – eine echte Zukunftsbranche im starken Wandel, die in vielen Aspekten aber immer noch sehr konservativ ist. Verantwortet habe ich eine ganze Reihe von Unternehmensbereichen, wie Strategie, Finanzen, Personal oder auch IT. Entsprechend breit kann ich heute auf die Mechanismen und Abläufe in Unternehmen schauen.
Aus meinem Studium kenne ich die Welt der „harten Zahlen“. Angetrieben hat mich jedoch stets die Frage „Was macht Unternehmen und Veränderungsprozesse wirklich erfolgreich?“ Und da stehen für mich die zwischenmenschlichen Wechselwirkungen einfach im Fokus. Es war sehr lehrreich für mich, fünf Jahre in Polen zu arbeiten und auch die französische und australische Zusammenarbeitskultur zu erleben.
2. Wie würdest du deinen heutigen Arbeitsansatz von deinen Erfahrungen ausgehend beschreiben?
Heute bin ich selbständig und begleite Menschen, Teams und Organisationen durch ihre ganz eigenen Veränderungsprozesse. Der systemische Ansatz begeistert mich dabei sehr: Den Menschen als Individuen zu begegnen und auf ihre eigene Lösungskompetenz zu vertrauen. Meine Aufgabe sehe ich darin, Räume zu schaffen, wo die Dinge besprechbar werden. Das ist für mich ein wundervolles Zusammenspiel aus handfester Ergebnisorientierung, verbunden mit ganz viel Empathie, Akzeptanz und Herz.
3. Du bietest als systemische Personal & Business Coachin ein breites Beratungsspektrum an, von der Organisationsentwicklung bis hin zur Team- und Persönlichkeitsentwicklung. Veränderung steht hierbei als großes Fokusthema im Vordergrund. Mit welchen Themen treten deine Kund*innen in diesem Rahmen konkret auf dich zu?
Teams oder Organisationen haben meist ein gutes Bauchgefühl, wenn etwas bei ihnen nicht in die richtige Richtung läuft. Im schlimmsten Fall bleiben diese Gespräche in der Kaffeeküche, Raucher*innenecke oder werden hinter vorgehaltener Hand geführt. Ich habe das Glück, mit Unternehmen und Teams zu arbeiten, die ihre Themen aktiv angehen möchten. Das äußert sich in konkreten Anlässen, wie zum Beispiel schlechter Team-Kommunikation, offenen Konflikten im Team oder dem fehlenden „Ziehen an einem Strang“. Die Gespräche, die wir dann führen, gehen in der Regel tiefer.
4. Auch ich kenne als Organisationsentwicklerin im Bereich Change Management die Herausforderungen von Veränderungsprozessen, vor allem wenn diese emotionalisiert betrachtet werden und hierdurch zu Widerständen führen. Wie gehst du mit Ängsten, Vorbehalten und Widerständen im Rahmen deiner Beratungstätigkeit konkret um?
Wir alle kennen sicherlich den Satz: „Keine Veränderung ohne Ängste und Widerstand.“ Wenn man dies allerdings als echte Grundhaltung leben möchte, die von Herzen kommt, ist das schon eine Herausforderung. In vielen Organisationen sind Einwände und Konflikte schlichtweg negativ besetzt.
Mein Credo ist:
Alles darf erst einmal sein.
Für mich sind es genau jene Momente des Widerstands, die für die Veränderung spannend sind. Welche unterschiedlichen Wahrnehmungen stehen hier im Raum? Welche fundamentalen Bedürfnisse und Glaubenssätze schwingen hier mit? Einwände sind erst einmal verbale oder non-verbale Äußerlichkeiten. Wenn man in solchen Momenten hinter die Standpunkte schaut, kann man viel für den neuen Weg nach vorn lernen. Und in jedem Konflikt steckt auch eine neue Lösung.
5. Gibt es hier etwas, was Unternehmen im Vorhinein bereits tun können, um ihre Mitarbeitenden inhaltlich und emotional abzuholen, bevor es in die eigentliche Umsetzungsphase geht?
Oft muss ich leider erleben, dass „Change Management“ nur als Randthema mitgedacht wird. Im Vordergrund stehen dann eher das reine Vermitteln und Informieren. Das wirkt dann wie „Projekt-Marketing“. Um jene Lösungen zu finden, die in der Organisation wirklich auf breiter Basis resonanzfähig sind, muss man meines Erachtens frühzeitig den Dialog mit den Beteiligten und Betroffenen in den Mittelpunkt rücken. Das klingt nach „Sonntagsrede“ – gerade in Zeiten knapper Projektbudgets und enger Zeitrahmen. Tut man es nicht, fällt einem das aber meistens im Projektverlauf auf die Füße. Ganz plakativ sichtbar wird das oft an scheiternden IT-Projekten, die an den Bedürfnissen der Organisation vorbeigehen.
Mit Sicherheit gibt es Projekte, die einen anderen Ansatz erfordern. Eine harte Restrukturierung macht man selten von „unten“ nach „oben“. Aber wenn wir ehrlich sind: Wie viele Vorhaben haben wirklich diesen Charakter?
6. Welche Themen im unternehmerischen Kontext bestimmen deiner Meinung nach in Zukunft die Beratungsbranche und wie gehen wir diese zielgerichtet an?
Der Druck auf die Unternehmen und Organisationen ist enorm. Zu der oft beschworenen „VUCA“-Welt des ständigen Wandels kommt, dass in vielen Branchen die Margen karg und die Budgets knapp sind. Das erfordert von den Unternehmen den ehrlichen Blick: „Was läuft bei uns wirklich nicht gut?“ Hier ist eine Fehler- und Veränderungskultur notwendig, ohne sich gleich in Problemanalysen und Anschuldigungsschleifen zu verlieren. Und diese Kultur fällt vielen Unternehmen schwer. Probleme äußern sich dann erst, wenn sie zur echten Ergebnis- oder Finanzkrise werden. Was da an Potenzial verpufft!
Zahlreiche Unternehmen gehen aktuell den Weg in selbstorganisiertes, agiles Arbeiten. Das verlangt ein hohes Maß an Strukturkompetenz, Erkenntnisbildung und Vertrauen in den Organisationen. Für viele Firmen wäre es schon ein guter erster Schritt, regelmäßige Plattformen zu schaffen, wo Probleme im Team und über die Ebenen hinweg besprochen werden können.
7. Gibt es einen Tipp oder einen Ratschlag, den du gerne selbst als junger Mensch gewusst hättest und welchen du anderen mit auf den Weg geben möchtest?
Als Treiberin von Veränderung habe ich lange den Wert von Stabilität und Beständigkeit verkannt. In vielen Organisationen gibt es einen „Hype“ um das „Neue“. Es fehlt dann oft die Nachhaltigkeit und Konsequenz in den Dingen – auch in Veränderungsprojekten. Um es platt zu formulieren: „Viel Anpfiff, wenig Abpfiff“. Heute spreche ich mit den Teams auch über das, was sich nicht verändern soll. Wir würdigen zu Beginn den Status Quo und zielen darauf ab, am Ende wieder in einen stabilen Zustand zu finden.
8. Ich hatte die große Freude, dich im Rahmen unserer gemeinsamen Diversity Trainer*innenausbildung kennenzulernen und hierdurch einen intensiven Einblick in die Lebensrealität von dir als Frau mit transgeschlechtlichem Hintergrund zu erhalten. Du hast durch deine persönliche Erfahrung „Veränderung“ nochmals in einem anderen Kontext erlebt. Inwiefern hat dich das persönlich, beruflich und vielleicht sogar unternehmerisch geprägt?
Die äußerliche Transition zur Frau überhaupt zu beginnen, war mein größter Schritt. Ich habe diesen Weg seither keinen Moment bereut. Zu meiner beruflichen Identität stand der Pfad jedoch arg im Widerspruch. Als Führungskraft wurde ich männlich sozialisiert und habe dabei viele Glaubenssätze aufgenommen. Viele dieser inneren Glaubenssätze über Karriere und Professionalität wurden durch meine Transition über den Haufen geworfen.
Sicherlich habe ich das Thema „Veränderung“ nochmals aus einer sehr persönlichen Ebene erlebt. Zu einer Transition gehört eine Menge dazu – weit mehr als nur die Operationen, an die viele vordergründig denken. Man beschäftigt sich mit unglaublich vielen Themen, lernt und wächst. Wer hat im Leben schon die Gelegenheit, einmal die männliche und einmal die weibliche Perspektive zu erleben? Das beginnt bei den Hormonen und der Gefühlswelt, und reicht bis zu den Geschlechterrollen in der Gesellschaft. Früher als „männlich gelesene Person“ hätte ich für mich beansprucht, aufgeklärt auf Themen, wie Sexismus und Frauenfeindlichkeit zu schauen. Es ist aber etwas anderes, sexuelle Übergriffigkeiten dann schlussendlich selbst im Alltag zu erleben. Solange man sie hat, kann man Privilegien vielleicht rational durchdringen, aber ihre wahre Tragweite bleibt emotional schwer greifbar.
9. Inwieweit lässt sich aus deiner persönlichen Erfahrung heraus ein Veränderungsprozess erfolgreich beschreiten?
Als transfeminine Person habe ich „am eigenen Leibe“ erlebt, wie sehr persönliche Veränderungsprozesse eine innerliche Auseinandersetzung erfordern und wie weit man sich dabei auch aus der eigenen Komfortzone begibt. Daher habe ich großen Respekt vor Menschen, Teams und Organisationen, die sich im Kleinen oder Großen auf einen Weg der Veränderung begeben. Veränderung gelingt dann, wenn wir uns als Individuen begegnen und unsere Vielfalt als Ressource und Stärke begreifen. Das heißt für mich auch, Perspektiven zu wechseln und gerade im Miteinander passende Lösungen für die Zukunft zu finden.
10. Sich als Individuen in unserer Vielfalt zu begegnen, ist ein wunderbarer Ansatz, der sich auch in deiner täglichen Arbeitshaltung widerspiegelt. Jetzt muss ich jedoch gestehen, dass ich auf den Bühnen, in Interviews oder in den Chef*innenetagen leider immer noch ein großes Defizit sehe, wenn es um die Personalvielfalt geht. Was können wir als Privatpersonen tun, um eine vielfältige Role Model-Kultur zu schaffen?
Stimmt, die heutigen Führungsetagen repräsentieren in vielen Unternehmen nicht die Vielfalt der Belegschaft. Das blockiert Aufstiegschancen – übrigens auch für Männer, die nicht dem klassischen Führungsbild entsprechen. Weibliche Werte und weibliches Führungsverhalten reiben sich mit dem immer noch vorherrschenden Stereotyp einer „erfolgreichen Führungskraft“
Das hat auch Konsequenzen für die Unternehmen selbst – davon bin ich fest überzeugt. Ich habe häufig in Meetings gesessen und gedacht, „die Diskussion würde hier gerade anders laufen, wenn das Führungsgremium noch diverser wäre“. Vielfalt zu managen ist nicht leicht und erfordert ein gutes Miteinander. Zugleich gilt in meinen Augen: In Führungs-Monokulturen sind nachhaltige Spitzenleistungen auf Dauer selten möglich.
Was können wir tun? Jede*r von uns ist mal in privilegierter, mal in marginalisierter Position. Wir alle tragen unsere „Biases“ und Vorurteile in uns. Sie zu verändern braucht Zeit. Aber wir können reflektieren, inwieweit sie unser Handeln prägen. Und das beginnt für mich immer erst einmal auf der individuellen Ebene.
11. Gibt es deiner Meinung nach im Hinblick auf die LGBTIQ*-Community besondere Fragestellungen, Maßnahmen oder Möglichkeiten, die durch Unternehmen gestellt, umgesetzt oder wahrgenommen werden sollten, um Vielfalt auch unternehmensintern erlebbar zu machen und nicht nur darüber zu sprechen?
Ich wünschte mir natürlich, dass die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität einfach keine Themen sein müssten. Davon sind wir aber leider noch weit entfernt. Das Klima wird aktuell eher wieder rauer. Homophobie und Transphobie nehmen zu. Hier geht es der queeren Community leider nicht anders als anderen marginalisierten Gruppen. Die gesellschaftliche Debatte polarisiert sich. Vieles davon sind eher Stellvertreter*innendiskussionen. Mein Eindruck ist, dass hier in Politik, Medien und Gesellschaft implizit noch ganz andere Themen „verhandelt“ werden, die weit über die Belange der queeren Szene hinausgehen.
Wenn ich mit Unternehmen arbeite, versuche ich das Thema zu versachlichen und mit falschen Bildern und Vorurteilen aufzuräumen. Es gibt recht handfeste, pragmatische Dinge, die Unternehmen hinterfragen können. Dazu gehört: Wie werden Besetzungsentscheidungen getroffen? Welches Bild von Potenzial- und Leistungsträger*innen wird normiert und vermittelt? Und welchen Raum für Vielfalt lassen Systeme, Strukturen und Unternehmensprozesse?
12. Was könnte für Unternehmen und Organisationen ein guter Start sein, mit dem Thema „Diversity“ zu beginnen?
Ein passender Einstieg ist für mich die „Sensibilisierung“ im Unternehmen oder der Organisation. Anstelle reiner Wissensvermittlung verstehe ich darunter, die Menschen vor allem in eine Erfahrung zu bringen. Gleichzeitig ist es ein Abholen und Brücken bauen. Meine Eltern sind als Nachkriegsgeneration beispielsweise in einem völlig anderen Wertesystem aufgewachsen, als ich es durfte. Und die jungen Generationen schauen heute nochmals anders auf die Welt. Wenn ich zum Ziel habe, dass wir uns als Persönlichkeiten mit allen unseren Facetten akzeptieren, muss im ersten Schritt in meinen Augen auch Raum für die unterschiedlichen Ausgangspunkte sein.
Ist diese Offenheit und Gesprächsebene einmal geschaffen, wird echtes Zuhören möglich. Nach meinem Outing fragte mich mein berufliches Umfeld damals offen und direkt: „Wie kann ich dich unterstützen? Was brauchst du gerade?“ Das war in meinen Augen eine wunderbare Reaktion. Für alle Themen finden sich in der Regel Erfahrungsträger*innen in den Unternehmen, die nicht nur aus eigener Betroffenheit heraus die Herausforderungen kennen, sondern zugleich auch das Unternehmen und seine Kultur. Im Gespräch lassen sich gute Lösungen finden, die für die Organisation und die Beteiligten im Moment passen. In den Mentorenprogrammen, auf die viele Unternehmen setzen, kommt dieser wechselseitige Dialog für mich oft zu kurz.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Vernetzung untereinander. In zahlreichen Unternehmen haben sich schon Frauen-Netzwerke oder auch queere LGBTIQ*-Netzwerke etabliert. Hätte ich damals nicht den Zugang zu weltweiten Internetforen und Communities gehabt, wäre ich den Weg der Transition mit Sicherheit nicht gegangen. Es stärkt ungemein zu sehen, dass man nicht alleine steht mit seiner Identität und welche Wege und Lösungen nach vorne möglich sind.
Aufbauend auf solchen Maßnahmen der individuellen Ebene kann man sich dann der strukturellen Ebene widmen. Ich gebe hier mal ein Beispiel: In Unternehmen hängt die Nutzer*innen-Datenbank der IT nicht selten an dem abrechnungsrelevanten Personalsystem. Dieses System hat in der Regel als erstes Kenntnis über den Ein- oder Austritt von Mitarbeitenden. Für trans* Personen kann dies allerdings bedeuten, dass Namensänderungen erst möglich sind, wenn der ganze rechtliche Prozess final abgeschlossen ist. Solche eventuellen strukturellen Hürden kann man sehr gut einmal gebündelt mit externer Unterstützung beleuchten.
13. Liebe Lea, abschließend folgen stets meine Lieblingsfrage: Wo, wie und wann dürfen wir dich demnächst erleben und wohin geht die Reise beruflich/persönlich für dich in den kommenden Jahren?
Um meinen kleinen Beitrag für die Förderung von Vielfalt und Zusammenhalt zu leisten, habe ich unlängst „Coach4Trans“ gegründet. Mein Ziel ist es, Unternehmen zum Thema Transgeschlechtlichkeit zu beraten und auch Angehörigen von trans* Personen zur Seite zu stehen. Da biete ich auch Workshops zum Thema an. Das ist eine schöne Ergänzung zu meiner allgemeinen Tätigkeit als Diversity Trainerin.
Und ansonsten freue ich mich einfach darauf, weiterhin vielen famosen Teams zu helfen, ein noch viel besseres zu werden.
Vielen Dank für diesen unglaublich spannenden Einblick! Role Model zu sein, bedeutet Veränderung auch dann entgegenzutreten, wenn die Komfortzone einladender wirkt, denn nur so eröffnen wir auch Möglichkeiten für andere. Liebe Lea, vielen Dank für deine Sichtbarkeit, du bist eine Frau, von der wir in Zukunft sicher noch einiges hören werden!
Über die Autorin
Kinga Bartczak berät, coacht und schreibt zu Female Empowerment, neuer Arbeitskultur, Organisationsentwicklung systemischen Coaching und Personal Branding.
Zudem ist sie Geschäftsführerin der UnternehmerRebellen GmbH und Herausgeberin des FemalExperts Magazins.