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Mental Health: Wie leise oder laut ist dein Glück? Spürst du es überhaupt?
Dunkel Hell

Mental Health: Wie leise oder laut ist dein Glück? Spürst du es überhaupt?

Nora Hille
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von Nora Hille mit Annett Lossack

Früher einmal war mein Glück lauter. Es brach sich Bann als nicht zu stoppender Kicheranfall mit der besten Freundin während des Schulunterrichts – ich glaube, wir hatten Physik. Schwupps standen wir draußen vor der Tür, was unser Glück nicht mindern konnte: Wir kicherten endlos weiter, Tränen liefen uns über die Gesichter. Wir hielten uns die Bäuche, konnten kaum mehr gerade stehen, mussten uns das Pinkeln verkneifen. Atemlos war es da, unser Glück, frei, laut und jung.

Welttag des Glücks: Ich horche in mich hinein

Heute ist der 20. März, Welttag des Glücks, und ich stelle fest: Jahrzehnte und zig Schicksalsschläge später hat sich mein Glücksempfinden verändert. Es ist immer noch Teil von mir und immer mal wieder spürbar – zum Glück – aber es hat sich gewandelt, ist leiser geworden und bewusster. So oft gekoppelt an andere Gefühle wie Dankbarkeit, Freundschaft, Liebe. Und ja, vor allen Dingen wohl an Zufriedenheit mit meinem Leben. Als wäre Zufriedenheit die kleine Schwester des Glücks.

Mir fällt ein Zitat ein:

Glück ist Selbstgenügsamkeit.

Aristoteles

Diesen Spruch kenne ich schon sehr lange und als ich jünger war, dachte ich nur „Glück und Genügsamkeit? Das klingt doch irgendwie echt langweilig und nach einem ,sehr Wenig‘?“

Glück und Selbstgenügsamkeit

Heute kann ich den Spruch anders begreifen: „Glück ist Selbstgenügsamkeit.“ Wenn ich selbst mir genüge, mit mir im Reinen bin, so kann ich für mich selbst und in meinem Inneren Glück finden – komplett unabhängig von äußeren Einflüssen oder Bedingungen. Ein fast schon überirdisches Geschenk, dieses unabhängige, manchmal leise und dabei doch so intensive Glück.

„Glück ist Selbstgenügsamkeit“ bedeutet für mich heute, dass eine Glückssuche im Außen gar nicht erforderlich ist, denn alles, was ich zum Glücklichsein benötige, trage ich ja bereits in mir, wie auch die Fähigkeit zur Achtsamkeit, zum Wahrnehmen der kleinen Dinge. Mein Inneres so reich. Doch zuerst musste ich es lernen, mir selbst zu genügen, und eben nicht im Eiltempo in der äußeren Welt nach allem Möglichen zu streben, das Glück zu versprechen scheint wie zum Beispiel Anerkennung, Ruhm, ein toller Job, Erfolg, eine Liebesbeziehung, Schönheit (notfalls durch OP), edle Designerklamotten, Sex, Geld oder gar Reichtum.

Kann es wirklich so einfach sein mit dem Glück?, frage ich mich.

Soziale Aspekte von Glück

Etwas gibt es im Außen, das uns Glück schenken oder unser inneres Glück vergrößern kann und ich denke, das sind wahre Freunde, eventuell eine Partnerschaft und im besten Fall eine liebevolle Familie. Denn nicht umsonst sind wir Menschen soziale Wesen und erkennen uns selbst oft erst im Austausch mit anderen, deren Gegenwart und Inspiration wir genießen, uns glücklich fühlen an ihrer Seite.

Glücksatlas: Wo sind die Menschen in Deutschland und weltweit am glücklichsten?

Nach Ausbruch der Coronakrise ist die Lebenszufriedenheit der Deutschen mittlerweile im Jahr 2022 wieder leicht angestiegen auf durchschnittlich 6,86 Punkte (10 ist die Höchstnote). Schleswig-Holstein ist mit 7,14 Punkten übrigens das zufriedenste Bundesland, gefolgt von Bayern mit 7,06 Punkten.[1] Im letzten Jahr wurde darüber hinaus bereits zum 10. Mal der World Happiness Report erstellt. Dafür werden 146 Länder untersucht. Ergebnis: Auf dem Siegertreppchen stehen Finnland, Dänemark und Island. Deutschland allerdings ist im Vergleich zum Vorjahr heftig abgesunken, von Platz 7 auf nunmehr 14. Auf dem letzten Platz liegt Afghanistan.[2]

Mein kleines, leises Glück

Wenn ich ganz genau hinspüre, dann erkenne ich mein kleines, leises Glück in so vielen Dingen:

  • Die Berührung des Windes auf meiner Haut, mein Gesicht zum Himmel erhoben.
  • Der Geruch frisch geschnittenen Grases.
  • Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht.
  • Eine leise Melodie.
  • Bei einer gemeinsamen Mahlzeit mit meiner Familie.
  • An der Seite meines Mannes.
  • Beim Telefonat mit einem geliebten Menschen.
  • Beim Zu-Bett-Bringen meiner Kinder.
  • In jeder Umarmung.
  • Wenn ich einer Lesung lauschen darf unter Gleichgesinnten, mich von fremden Worten berühren lasse bis hin zur Gänsehaut.
  • Beim Streicheln meiner Katzen.

Lasst uns achtsam sein und dankbar, sodass wir diese kleinen Glücksmomente in unserer Seele sammeln und so unsere mentale Gesundheit stärken können.

Dazu meint Happiness-Trainerin und Coach Annett Lossack:

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Annett Lossack ist Happiness-Trainerin und Coach.

„Ach, wir haben es schon sprachlich nicht leicht mit dem Glück. Wer Englisch spricht, reflektiert und entscheidet in Sekundenschnelle, ob lucky oder happy. Entweder erhascht mich das spontane Zufallsglück genau jetzt oder ich tanze im Freudentaumel, weil einfach alles stimmt. Darüber hinaus finden sich andere Wörter, um Gefühle zu beschreiben, für glückliche Aussichten auf Erfolg oder zum Herauskitzeln von kleinen und großen Risiken, um glücklicher zu werden. Unsere dänischen Nachbarn, welche sich selbst überwiegend als glücklich und zufrieden bezeichnen und jährlich die Glückscharts stürmen, leben ein ‘hyggeliges’ Wohlfühlglück.“

Kann man Glück erforschen? Zwischen Freud‘schen Wünschen und Seligmans Emotionen.

Jetzt möchte ich von der Happiness-Trainerin aber etwas über die Glücksforschung erfahren, ein sehr spannendes Thema, wie ich finde. Dazu Annett Lossack: „Während Freud Glück mit der Erfüllung von Kinderwünschen gleichsetzte, sprechen wir heute eher von der Befriedigung von Bedürfnissen, der Aktivierung des Belohnungszentrums und dem Ausschütten von Glückshormonen. Auch Martin Seligman[3], ein Begründer der positiven Psychologie (einer Sparte der Glücksforschung) fokussiert auf positive Emotionen. Persönliche Stärken und Tugenden, mit anderen Worten das charakterliche Profil, lassen diese wohltuenden Emotionen wie eine Quelle sprudeln. Wer einen Sinn in seinem Tun entdeckt, sich selbst motivieren kann und kleine und große Erfolge feiert, ist häufig mit sich und der Welt im Reinen.  Strukturen und Lebensentwürfe, die ein Leben lebenswert gestalten, geben uns zusätzlich Halt und einen Rahmen.“

Tun, Wachsen und Entfalten: Flow …

„Mihaly Csikszentmihalyi, der Vater des Flows, untersuchte die wohltuenden Gefühle und positiven Effekte, wenn wir von einer meist kreativen Beschäftigung gefangen sind.“, so Annett Lossack weiter. „Dabei verlieren wir die Zeit und unser Umfeld komplett aus den Augen und staunen nicht schlecht, wie lange wir hoch konzentriert und produktiv tätig waren. Das Grundrezept beruht auf einem Thema, was mich fasziniert, einem optimalen Anspruchslevel, was mich nicht über- oder unterfordert, einer gut gewählten Portion Zeit und einem Umfeld ohne Störungen, also dem Smartphone auch mal den Ton abstellen. Natürlich schmeckt es noch besser, wenn man individuell aus persönlichen Erfahrungen und vom Ausprobieren die Zutaten entsprechend den persönlichen Voraussetzungen und Vorlieben aussucht und als i-Tüpfelchen ein Schokosplitter zufügt. Das kann beflügelnde Lieblingsmusik sein oder ein dampfender Chai Latte.“

… und die Broaden-and-Build-Theory

„Die Broaden-and-Build-Theory von Barbara Fredrickson[4] vergleicht die persönliche Entwicklung mit dem Gedeihen und Aufblühen einer Seerose. Positive Erfahrungen beim Lernen und Entfalten erhöhen die Selbstwirksamkeit und stimmen optimistisch. Belastbarkeit ist ein guter Nährboden für den Keim der Weisheit, der langsam reift, und für Kreativität.  Seit jeher versuchen Menschen zu verstehen, was sie glücklich macht, wie sich das individuelle Befinden auf die Gesundheit, das Verhalten und die Lebensqualität auswirkt. Mit Freude beobachte ich, dass Emotionen heute einen anderen Stellenwert einnehmen als zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Psychologische und soziologische Aspekte zur Steigerung des Wohlbefindens wurden identifiziert, welche heute in manchen Schulen im Glücksunterricht vermittelt werden. Damit verbinde ich die Hoffnung, unsere Kinder frühzeitig für ein erfülltes Leben zu sensibilisieren, ihnen Techniken und Werkzeuge liebevoll an die Hand zu geben, damit sie und unsere Gesellschaft auch mental stabiler und gesünder wird.“

Pro und Contra – kann man das Glück auch selbst sabotieren?

In unserem Gespräch erfahre ich von Annett Lossack, dass die Glücksforschung auch thematisiert, was dieses angenehme Gefühl verunmöglicht: „Der amerikanische Professor Raj Raghunathan beschäftigt sich nicht nur mit inneren und äußeren Faktoren, die das Glück nähren, sondern sucht auch nach Glücksverhinderern. Gut unterwegs in Richtung persönliches Elend ist, wer:

  • im Mangel feststeckt, zu wenig Zuwendung, zu wenig Geld und Luxus hat und auch die persönlichen Werte wenig hinterfragt,
  • von außen fremd motiviert wird,
  • ständig kontrolliert, 
  • den Perfektionismus im Nacken sitzen hat
  • und im Jammertal wohnt, die persönliche Wahrnehmung auf ungünstigen äußeren Bedingungen fest ausgerichtet.

Ein sicherer und gut erprobter Weg ins Unglück ist laut Raj Raghunathan, zu wissen, was mich glücklich macht, aber überzeugt in eine andere Richtung zu stiefeln.“[5]

Ja zum Glück sagen und einfach losgehen

Nun möchte ich wissen: Was kann uns Expertin Annett Lossack für ein Mehr an Glück in unserem Alltag raten? „Unser individuelles Glück ist tatsächlich eine aktive Entscheidung beziehungsweise Haltung gegenüber dem Leben und passiert selten von ganz allein. Ob wir das Glück mit seinen vielen Gesichtern sehen oder fühlen, ob unser Sinn im Moment nach Geben und anderen eine Freude machen steht oder ob wir gerade etwas von außen benötigen. Das Nach- und Hinterfragen, Erspüren und Beschreiben lassen den Nebel schwinden und das für uns individuell Wichtige klar hervortreten. Mit Kennenlernen, Ausprobieren, Verwerfen und Üben übernehmen wir Verantwortung für unser Wohlbefinden und unser persönliches Wachstum und sorgen für unsere psychische und physische Gesundheit.“

Ich fühle mich inspiriert. Vielen Dank, Annett Lossack, für das Teilen deines Wissens und die vielen wertvollen Denkanstöße! Denn ein bisschen Weiterdenken möchte ich zum Abschluss der Kolumne noch…

Siehe auch
Tag des Zuhörens und die Kraft der Worte-Artikelbild

Manchmal müssen wir unser inneres Glück erst befreien

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FemalExperts-Kolumnistin Nora Hille findet das Glück mehr und mehr in ihrem Inneren.

Ja, das Glück ist nah und auch in Zeiten des Unglücks nicht unmöglich. Mal ist es lauter, Mal leiser. Mal so verborgen oder verschüttet, dass wir es erst befreien müssen – und zwar zuallererst in uns selbst.

Ich bin mir sicher: Auch wenn es dir mental gerade unendlich schlecht geht und Finsternis dich einhüllt (wie gut kenne ich diesen Zustand), irgendwo wartet es schon auf dich, dein sanftes, leises Glück. Es existiert. Trotz all deines Leids und deiner seelischen Schmerzen. Es wartet auf dich und wird nicht fortgehen, bist du wieder bereit bist, es zu finden und es als eine kleine, zarte Flamme der Ermutigung in dein Herz zu lassen.

Blüh auf, kleines Glück.

Blüh auf.

… und schenke Zuversicht.


[1] SKL mit der Universität Freiburg: „Glücksatlas 2022

Deutschlands Glücksniveau erholt sich nur leicht“. https://www.skl-gluecksatlas.de/artikel/deutschlands-gluecksniveau-erholt-sich-nur-leicht.html (Zugriff: 15. März 2023).

[2] World Happiness Report 2022: Die glücklichsten Länder der Erde. Online verfügbar seit dem 18. März 2022 unter https://happiness-report.s3.amazonaws.com/2023/WHR+23.pdf (Zugriff: März 2023).

[3] Das PERMA-Modell von Seligman vereint die Beiträge von positiven Emotionen, Engagement, guten Beziehungen, Sinn und persönlichen Erfolgen auf das Wohlbefinden. https://www.authentichappiness.sas.upenn.edu/learn oder ein Beitrag auf Deutsch: https://karrierebibel.de/perma-modell/ (beide Quellen Zugriff März 2023). 

[4] https://www.dgpp-online.de/prof-dr-barbara-l-fredrickson (Zugriff: März 2023).

[5] If you are smart, why aren’t you happy? | Raj Raghunathan | TEDxDelhi https://www.youtube.com/watch?v=KIp3rHn3PiI (Zugriff: 12. Januar 2023).

Über die Autorin

+ Beiträge

Nora Hille, Jahrgang 1975, verheiratet, zwei Kinder. Studium Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaften. 12 Jahre Arbeit im Bereich Kommunikation/PR. Aus gesundheitlichen Gründen verrentet. Im August 2023 ist ihr Mutmachbuch „Wenn Licht die Finsternis besiegt. Mit bipolarer Erkrankung Leben, Familie und Partnerschaft positiv gestalten.” bei Palomaa Publishing erschienen.
Als Betroffene und Erfahrungsexpertin schreibt Nora Hille Artikel zu den Themen mentale Gesundheit und psychische Erkrankungen. Außerdem verfasst sie literarische Essays, Gedichte (sehr gerne Haikus) und Kurzprosa. Beim FemalExperts Magazin erscheint regelmäßig ihre Mental Health-Kolumne und sie ist Redakteurin der eXperimenta – dem Magazin für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Ihre Kolumne „Noras Nachtgedanken“ veröffentlicht sie beim Online-Magazin viaMag – Das Magazin für eine neue Trauerkultur. Anti-Stigma-Arbeit liegt Nora Hille am Herzen: Sie engagiert sich als Mutmacherin bei Mutmachleute e.V. und setzt sich mit ihren Anti-Stigma-Texten gegen die Stigmatisierung (Ausgrenzung) psychisch kranker Menschen in unserer Gesellschaft für mehr Miteinander, Toleranz und Gleichberechtigung ein. Nora Hille ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS).

Auf Instagram zu finden unter: @norahille_autorin

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Annett Lossack
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Ich bin mit Leidenschaft Coach, Trainerin und Beraterin. Auf meinem persönlichen Weg hat mich jede Station meines Lebens verändert, bereichert und wachsen lassen. Für diese Art von Reise möchte ich Sie gewinnen und gemeinsam mit Ihnen ein Gespür für Ihre neue Identität entwickeln.

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