Dr. Marie-Luise Meinhold, studierte Biologin und Ökonomin, ist Vorständin und Gründerin von ver.de – Deutschlands erster nachhaltiger Versicherung. Ihr Ziel? Echte Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche und der Aufbau einer Versicherung, die ihr Geld für und nicht gegen Mensch und Umwelt investiert. Damit ist Marie die erste Frau in Deutschland, die eine Versicherung gründet. Anlässlich des Weltfrauentages am 8. März hat sich ver.de etwas Besonderes überlegt: Eine Woche lang informiert ver.de über wichtige Themen rund um Frauen und Geld und macht Frauen aus verschiedenen Bereichen der (Finanz-)wirtschaft sichtbar.
In einem Interview erzählt uns Marie mehr zu ihrer persönlichen Geschichte, den Hürden sowie ihrer Vision einer nachhaltigen Versicherung*.
Marie, stell Dich kurz vor – Wie hast Du Deinen Einstieg in die Finanzwirtschaft gefunden?
Natur und Klima haben mich schon immer interessiert und so begann ich nach der Schule mein Biologie-Studium. Es war spannend, aber ich musste feststellen, dass viele Informationen rund um Klimaschutz in der Forschung bereits nachgewiesen und bestätigt sind. Und trotzdem wurden diese Erkenntnisse in der Wirtschaft größtenteils ignoriert. Klimakrise und Umweltverschmutzung sind ja nicht erst seit ein paar Jahren ein Thema. Da habe ich mich gefragt: Wenn ich hier den Wandel nicht so voranbringen kann, wie ich mir das vorstelle, wo kann ich das? Wo liegt denn diese Entscheidungsmacht? Und so kam ich auf die Wirtschaft oder genauer gesagt die Versicherungswirtschaft: Denn hier liegt eine riesige Menge an Geld und damit verbunden auch eine riesige Menge an Macht.
Wie kann man Frauen in der Finanzwirtschaft fördern?
In Deutschland ist fast jeder fünfte Mensch über 65 arm oder armutsgefährdet. Davon sind gerade Frauen überproportional betroffen. Viele Frauen sind nach wie vor finanziell von ihrem Partner abhängig. Für finanzielle Unabhängigkeit braucht es bessere Bildung beim Thema Altersvorsorge, auch gezielt für Frauen. Care Arbeit, die nach wie vor zu großen Teilen von Frauen geleistet wird, muss anerkannt werden und es braucht eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Arbeit sowie einfachere Wieder-Einstiegsmöglichkeiten nach der Elternzeit. Das wäre ein Anfang.
Was hat Dich dazu inspiriert, eine Versicherung* von Grund auf aufzubauen?
Ich habe viele Jahre bei Deutschlands größtem Erstversicherer gearbeitet und in verschiedenen Fach- und Führungspositionen mitbekommen, wie viel Geld hier investiert wird. An sich wäre das ein großer Hebel, um soziale und ökologische Themen – wie die Energiewende oder Bildung – zu finanzieren. Ein großes Potential, doch leider investieren Versicherungen ihr Geld nach wie vor größtenteils ohne Blick auf die Wirkung. So werden hier klimaschädliche Branchen wie Kohle- oder Ölenergie finanziert. Der Wandel in der Versicherungswirtschaft geht allgemein sehr schleppend voran. Die Versicherungsbranche plant erst bis 2050 klimaneutral zu werden – und das nur selbstverpflichtend.
Das wollte ich bei meinem alten Arbeitgeber ändern und das Thema Nachhaltigkeit voranbringen. Ohne Erfolg – ich wurde gebeten, diese Ambition nicht weiter zu verfolgen. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und so entschloss ich, es selbst in die Hand zu nehmen. So kam es zu ver.de. Denn echte Nachhaltigkeit muss von innen heraus kommen, Teil der Unternehmens-DNA sein. Und sie muss auch dann gelebt werden, wenn keiner hinschaut.
Was macht eine nachhaltige Versicherung anders?
Versicherungen gehören zu den grössten Investoren weltweit: Allein in Deutschland verwalten sie rund zwei Billionen Euro. Das ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Der entscheidende Punkt ist, dass dieses Geld nicht einfach bei der Versicherung liegt. Versicherungen investieren es weiter, in Unternehmen und Projekte. Hier macht es einen entscheidenden Unterschied, ob mit diesen zwei Billionen Euro beispielsweise Kohlekraftwerke oder Solarenergie, Bildung oder bezahlbarer Wohnraum finanziert werden.
Leider gibt es nach wie vor keine Versicherung, die ihr Geld ausschließlich ökologisch-sozial und transparent anlegt. Das geht auch anders und das zeigen wir mit ver.de. Wir investieren ausschließlich in ökologisch-soziale Projekte. Dafür nutzen wir das Prinzip des Impact Investings: Das bedeutet, dass wir bei jeder Investition ganz konkret die Wirkung auf Klima, Umwelt und Gesellschaft messen und diese anschließend transparent auf unserer Webseite offenlegen. Denn die branchenüblichen ESG-Kriterien alleine reichen uns nicht aus. Zudem haben wir auch Ausschlusskriterien festgelegt. Das sind Branchen, in die wir unter keinen Umständen investieren wollen. Zudem können unsere Mitglieder mitentscheiden, wohin unser Kapital fliesst. Das ist ein weiterer Aspekt der uns unterscheidet: Wir sind genossenschaftlich und sozial organisiert und Mitsprache ist ein wichtiger Teil davon. Aber zudem profitieren unsere Mitglieder auch von einer Gewinnbeteiligung. Nachhaltigkeit und soziale Aspekte gehen hand-in-hand und viele Versicherungen vergessen manchmal, dass sie da sind um Menschen zu helfen – nicht auszubeuten.
Welche Herausforderungen gibt es beim Aufbau einer Versicherung? Und welche Herausforderungen gibt es allgemein als Frau in der Finanzwirtschaft?
Insgesamt gibt es für die Gründung einer Versicherung eine Menge Anforderungen, wie ein großes Startkapital – ca. 4,5 Millionen Euro – oder Anforderungen bezüglich der IT und der Kompetenzen im Unternehmen. Da wir ver.de unabhängig von anderen Versicherern aufbauen, ist das natürlich nicht die einfachste Aufgabe. Doch davon haben wir uns nicht entmutigen lassen und haben inzwischen ein kompetentes tolles Team und bereits die Hälfte des notwendigen Kapitals für die Zulassung. Und natürlich eine Genossenschaft mit bereits 500 motivierten Mitgliedern, die uns auf unserem Weg unterstützen.
Trotzdem war der Weg nicht leicht: Gerade meine Rolle als Frau und Mutter wurde mit gegenüber Investor*innen immer wieder negativ ausgelegt. Diese Benachteiligung ist inzwischen belegt: 2022 haben Startups mit überwiegend männchlichen Teams fast neun Mal so viel Kapital von Investor*innen erhalten wie Frauen-Teams. Und auch in der Versicherungswelt sind Frauen stark unterrepräsentiert: Bei den 60 größten Versicherungen betrug der Anteil der Frauen in den Vorständen im Jahr 2022 nur rund 16 Prozent. Da ist noch viel Luft nach oben.
So muss ich als Frau immer noch teilweise um Anerkennung kämpfen und werde weit häufiger als meine männlichen Kollegen gefragt, wie es denn um meine Kompetenzen steht.
Wo siehst Du ver.de in 10 Jahren?
Mit ver.de wollen wir mit positiven Beispiel vorangehen und echte Nachhaltigkeit leben. Und dabei denken wir groß. Nach unserer Zulassung als Versicherung planen wir ein umfangreiches Produktportfolio – sowohl für Firmen- als auch Privatkund*innen. Es wird bei ver.de einerseits die klassischen Produkte geben, wie die Hausrat- oder Haftpflichtversicherung und andererseits innovative Versicherungsprodukte für nachhaltige Geschäftskonzepte, wie die Kreislaufwirtschaft oder den erneuerbaren Energiesektor. In Zukunft wollen wir dann noch einen Schritt weitergehen und auch Lebens- und Krankenversicherungen anbieten, in Deutschland und weiteren Ländern der EU.
ver.de soll digital und innovativ sein, Mitbestimmung ermöglichen und einen echten positiven Impact für unser aller Zukunft schaffen. Und da gibt es so viele tolle Möglichkeiten: Lasst uns gemeinsam den Ausbau von Tramstrecken finanzieren, in die Bildung investieren oder bezahlbaren Wohnraum in Städten bauen. So viel schon mal: Wer braucht schon eine eigene “Allianz”-Arena, wenn sie stattdessen ein “ver.de”-Moor haben können.
Wir wollen mit ver.de einen neuen Standard definieren und hoffen, dass mehr Menschen erkennen, wie wichtig es ist eine nachhaltige Versicherung zu haben. Viele achten bereits jetzt bei Einkäufen auf Nachhaltigkeit. Das Thema Finanzen wird dabei aber meist noch wenig beachtet – dabei hat es eine enorme Wirkung und großes Potenzial. Geld wirkt dort wo es hinfließt.
Gibt es noch was, was du mit unseren Leserinnen teilen willst?
Wir sind zurzeit im Aufbau und haben uns zum Ziel gesetzt, dieses Jahr unsere Zulassung als Versicherung zu erreichen. Dafür benötigen wir ca. 4,5 Millionen. Mehr als die Hälfte haben wir bereits und für den Rest suchen wir Menschen, die ver.de mit uns als Pionier*in der nachhaltigen Finanzwelt möglich machen wollen. Mehr zu unserer Genossenschaft findest Du hier: www.geno.ver.de.
*Erst nach BaFin-Zulassung darf sich ver.de Versicherung nennen.
About the author
Dr. Marie-Luise Meinhold
Dr. Marie-Luise Meinhold, who studied biology and economics, is a board member and founder of ver.de - Germany's first sustainable insurance company*. Your goal? Genuine sustainability in the insurance industry and the development of an insurance company* that invests its money for and not against people and the environment. This makes Marie the first woman in Germany to set up an insurance company. To mark International Women's Day on March 8, ver.de has come up with something special: For one week, ver.de will provide information on important topics relating to women and money and make women from various areas of the (financial) economy visible.
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