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„Wir Superheldinnen“: Warum der weibliche Körper mehr Anerkennung verdient – Ein Gespräch mit der Autorin und Gynäkologin Dr. med. Dorothee Biener

„Wir Superheldinnen“: Warum der weibliche Körper mehr Anerkennung verdient – Ein Gespräch mit der Autorin und Gynäkologin Dr. med. Dorothee Biener

Kinga Bartczak
Wir Superheldinnen-Warum der weibliche Körper mehr Anerkennung verdient-Ein Gespräch mit der Autorin und Gynäkologin-Artikelbild

1. Liebe Dorothee, vielen Dank, dass du dich im Rahmen unserer FemalExperts Role Model Reihe unserer Community vorstellen möchtest. Gab es für dich einen konkreten Auslöser, dieses Sachbuch zu schreiben – ein persönliches Erlebnis oder einen konkreten Impuls?

Immer wieder erlebe ich in zum Teil geradezu dramatischen Situationen, wie groß unser Bedarf an guter Information zu Frauenthemen ist – bei meinen Patientinnen, meinen Freundinnen, aber auch bei mir selbst. Gleichzeitig ist mir aufgefallen, dass wir uns dem großartigen Thema „Frau“ nur von einem Problemstandpunkt aus nähern. Das wollte ich gern ändern und zeigen, wie fantastisch der Frauenkörper ist, wie großartig er ein Leben lang funktioniert und wie sehr wir uns darüber freuen können.

2. Der Titel: „Wir Superheldinnen“ ist sehr ermutigend uns deutet bereits auf die „Superkräfte“ hin, die in uns Frauen wirken. Gibt es hierbei etwas, was dich auch in deiner täglichen Praxis besonders beeindruckt?

Sicherlich die Fähigkeit von Frauen, produktiv mit den unterschiedlichsten Lebensbedingungen umzugehen und aus jeder Situation etwas zu machen. Und natürlich ihre unnachahmliche Fähigkeit, überall auf der Welt Kinder bekommen zu können.

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3. Welche Recherchen oder Gespräche haben dich bei der Arbeit am Roman hierbei besonders geprägt?

Besonders spannend fand ich es, mich mit dem aktuellen Wissensstand zur Anatomie und zu den weiblichen Erkrankungen zu befassen. Hier ist vieles immer noch nicht endgültig geklärt und verstanden z.B. gibt es einen G-Punkt oder nicht? Besonders toll fand ich auch nachzuvollziehen, wie wunderbar ganz unterschiedliche Systeme in unserem Körper miteinander arbeiten.  

4. Welche Lücken oder Tabus in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Frauengesundheit werden im Buch sichtbar?

Tatsächlich gibt es immer noch große Wissenslücken beim Thema „Frau“ und zwar sowohl allgemein in Bezug auf Körper und Seele, als auch in Bezug auf konkrete Vorgänge wie den Zyklus, den Umbruch im Rahmen der Wechseljahre usw. Komplettes Unwissen oder ein angstbesetztes Halbwissen erleichtert das Fortbestehen von Tabus leider immens. So befördern sich Wissenslücken und Tabus gegenseitig.

Wichtige Tabus, die eigentlich keine mehr sein sollten, sind beispielweise weiblich Erregung, Sex und Orgasmus, weibliche Inkontinenz nach Geburten, aber auch im Laufe des Lebens, dazu körperliche und seelische Veränderungen in verschiedenen Phasen des Frauenlebens z.B. während der Reproduktion (Kinderwunsch, Schwangerschaft) oder in den Wechseljahren (Perimenopause).

5. Wie können wir hier mehr „Awareness“ schaffen, sodass Begrifflichkeiten wie Brust, Vulva, Klitoris, Vagina, Gebärmutter, Eierstöcke, Hormone oder Zyklus in Zukunft auf völlig normale Weise besprochen und reflektiert werden können?

Zum einen, indem wir beherzt die richtigen Begriffe verwenden und uns auch trauen, sie laut aussprechen. Zum anderen, indem wir sie unseren Kindern positiv besetzt vermitteln und mit unserer Umgebung offen über unser positives Wissen kommunizieren.

6. In deinem Sachbuch legst du einen besonderen Fokus auf die Besonderheiten des Frauenkörpers in den einzelnen Lebensphasen einer Frau. Kannst du unserer Leserinnenschaft ein Beispiel nehmen, welche Herausforderungen sich hier besonders abzeichnen?

In der Pubertät geht es vor allem um Identität und Finden der eigenen Rolle – sowohl sozial gesehen als auch im eigenen Körper. Gynäkologische Probleme und Herausforderungen haben hier häufig mit Zyklus und Periode (Regelmäßigkeit, Beschwerden), sowie körperlichen Merkmalen zu tun. Im fließenden Übergang zum jungen Erwachsenalter bekommt das Thema Sexualität dazu einen zentralen Stellenwert. Wer möchte und kann ich sein, was möchte ich in meiner Sexualität leben, wer bin ich?

Danach schließt sich eine Phase an, die sich mit Reproduktion in all ihren Facetten beschäftigt. Möchte ich Kinder bekommen, und wenn ja, mit wem und wann? Werde ich einfach so schwanger oder brauche ich Unterstützung, und wenn ja welche?

Ab dem 40. Lebensjahr dann können die ersten Symptome der Wechseljahre auftauchen, die uns bis zur Menopause begleiten (Menopause ist medizinisch gesehen der Zeitpunkt, an dem die letzte Blutung 1 Jahr zurückliegt). Danach beginnt wieder eine neue Phase im Leben einer Frau mit einer Menge Chancen und Möglichkeiten.

Man sieht, als Frau wird es einem niemals langweilig 🙂

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7. Du gehst in deinem Buch ebenfalls auf das Thema weibliche Sexualität ein. Man könnte meinen, dass sie hier einiges getan hat in den letzten Jahren und wir im Hinblick auf Aufklärung und Bewusstsein bereits eine Weiterentwicklung erfahren haben. Inwieweit siehst du hier jedoch besonderen Handlungs- oder Aufklärungsbedarf, um diesem so wichtigen Thema zu begegnen?

Es stimmt, dass sich in den letzten Jahrzehnten einiges getan hat – schon allein durch die Pille (erstmals auf den Markt gekommen 1957), die es Frauen ermöglichte, selbst zu entscheiden, ob und wann sie schwanger werden wollten. Von diesem Effekt profitieren wir bis heute, auch wenn wir mittlerweile natürlich eine deutlich größere Auswahl an Verhütungsmethoden zur Verfügung haben.

Doch trotz dieser Freiheit habe ich das Gefühl, dass sich gerade beim Thema Lust, weibliche Erregung und Orgasmus noch vielfältige Mythen halten, die es Frauen schwerer machen, ihre Sexualität frei zu genießen. Dazu gehört das mangelnde Wissen über die weiblichen Geschlechtsorgane wie die Klitoris und ihre Funktionsweise. Dazu gehört das starke sexuelle Rollenbild in unserer Gesellschaft, das Frauen nach wie vor eher eine passive Rolle beim Sex zuschreibt und es für Frauen schwerer bis unmöglich macht, sich aktiv wahrzunehmen und selbst aktiv zu sein, was aber sehr wichtig für eine erfüllte Sexualität ist. Dazu gehören oft mit großen Nachdruck vorgebrachte Vorstellungen z.B. auf Social Media, wie eine Frau auszusehen hat, was ihre Schamhaare, ihre Labienlänge, die Farbe ihres Intimbereichs, die Größe ihres Busens etc. angeht. Das setzt Frauen massiv unter Druck und verunsichert viele zutiefst. Hier müssen wir ansetzen und mit guten Informationen, richtigem Wissen und Empowerment mehr Emanzipation im besten Sinne möglich machen.

8. Du bringst in „Wir Superheldinnen“ auf sehr eindrückliche Art und Weise die hartnäckigsten Mythen über den weiblichen Körper zur Sprache. Magst du uns hierzu ein Beispiel nennen, welches für dich besonders interessant war?

Ein weitverbreiteter Mythos ist, dass nur Frauen mit einem makellosen Körper wirklich glücklich sein können. Eigentlich absurd, wenn man es sich überlegt, aber der Mythos führt dazu, dass Frauen ständig nach einem unerreichbaren Ideal streben und sich permanent ungenügend fühlen. Dabei ist unser Körper in jeder Phase unseres Lebens ein wahres Wunderwerk, das tagtäglich großartige Arbeit leistet. Das Glück hängt nicht von der äußeren Erscheinung ab, sondern davon, wie wir uns selbst wahrnehmen und akzeptieren.

9. Gibt es Themen, die dir persönlich als Gynäkologin sowie als Sachbuchautorin (auch künftig) besonders am Herzen liegen?

Ich würde mich sehr gerne noch einmal ausführlich mit dem Thema Schwangerschaft und Geburt beschäftigen und hier ganz besonders mit dem Wissen, das nicht allgemein bekannt ist, das aber einen positiven Effekt auf das Leben jeder einzelnen Frau haben kann.

Über die Autorin

Kinga Bartczak
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Kinga Bartczak berät, coacht und schreibt zu Female Empowerment, neuer Arbeitskultur, Organisationsentwicklung systemischen Coaching und Personal Branding.

Zudem ist sie Geschäftsführerin der UnternehmerRebellen GmbH und Herausgeberin des FemalExperts Magazins.

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