„Ich habe mich gefühlt, als hätte jemand den Stecker aus der Buchse gezogen. Zwei Wochen lag ich bei ausgeschaltetem Telefon und deaktivierter Haustürklingel auf dem Sofa und hörte einer CD mit Meeresrauschen zu.“ Die Erinnerung an den Burnout, der mittlerweile 15 Jahre zurückliegt, ist immer noch lebendig. Ich hatte als Berufseinsteigerin fünf Jahre nonstop durchgepowert, häufig 10 bis 12 Stunden täglich gearbeitet, dazu noch jede Menge Dienstreisen. So viel Spaß mir der Job auch machte, gesund war meine Arbeitsweise nicht. Das zu erkennen, half mir erst die Erfahrung mit meiner Erschöpfungsdepression. Damals war der Begriff “mental health” im englischsprachigen Raum schon geläufig, in Deutschland aber noch unbekannt.
Mental Health, also psychische Gesundheit, ist ein Konzept und damit eine Sichtweise auf mentales Befinden, welches sich seit etwa einem Jahrzehnt auch in Deutschland mehr und mehr durchgesetzt hat. Das individuelle Wohlbefinden, Maßnahmen für den Erhalt oder die Rückgewinnung der inneren Balance und die Beziehung des Individuums zur Umwelt rücken in den Fokus und lösen die Negativ-Orientierung auf psychische Defizite oder die einschränkenden Aspekte psychischer Erkrankungen ab – was nicht weniger als einen Paradigmenwechsel markiert.
Das Thema Mental Health betrifft uns alle
Mental Health ist gesellschaftlich von immenser Bedeutung und ein Thema, das uns als persönliche Herausforderung alle angeht – uns Frauen sogar ganz besonders: Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit in Deutschland haben Frauen in allen Altersgruppen eine höhere subjektive Belastung durch chronischen Stress, Burnout und Depressionen. Daher ist es für uns Frauen besonders wichtig, gut für uns und die eigenen Bedürfnisse zu sorgen. Kein anderer kann oder sollte uns das abnehmen.
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder Vierte in Deutschland im Zeitraum eines Jahres psychisch – Tendenz steigend. So hat sich die Anzahl der Krankschreibungen wegen psychischer Probleme in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht. Betroffen sind Manager*innen genauso wie Verkäufer*innen, Nachbar*innen, Arbeitskolleg*innen, Familienmitglieder, ein Sportkamerad, die beste Freundin – eben Menschen wie du und ich.
So bleiben wir in der psychischen Balance
Welche individuellen Strategien benötigen wir, damit wir auch bei seelischen Belastungen in der psychischen Balance bleiben und somit Erkrankungen vorbeugen können? An dieser Stelle sollten wir uns bewusst machen, dass Mental Health zwar zunächst unsere individuelle psychische Gesundheit bezeichnet, darüber hinaus aber genauso unsere Einbindung in Gesellschaft und Arbeitswelt betrifft. Ständig sind wir und damit auch unser seelisches Wohlbefinden Einflüssen von außen ausgesetzt:
- Existiert im Job ein Umfeld, in dem wir uns wohl fühlen oder gibt es Aspekte, die auf Dauer krank machen können?
- Habe ich in meinem privaten Umfeld stärkende Beziehungen oder gibt es ungelöste schwelende Konflikte?
- Finde ich in meinem Alltag die richtige Balance zwischen Anspannung und Entspannung?
Wenn wir uns Fragen wie diese regelmäßig selbst stellen, können wir uns bei Bedarf für eine Korrektur der Rahmenbedingungen einsetzen und so Verantwortung für unsere seelische Gesundheit übernehmen.
Beruflichen Erfolg und Leistung im Job in Einklang mit der psychischen Balance zu bringen, fällt wesentlich leichter, wenn das Arbeitsklima passt und der Arbeitgeber sich seiner Fürsorgepflicht für die Angestellten bewusst ist. Je höher wir aber die Karriereleiter bereits erklommen haben, desto größer werden meist Führungsspanne, Verantwortung und Stress. Hat Frau ein eigenes Unternehmen, ist es immens wichtig, sich die Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers auch gegenüber sich selbst bewusst zu machen – lässt die Verantwortung für das eigene Unternehmen doch nie ganz los.
Was können wir für unsere mentale Gesundheit tun?
Damit ein permanent hohes Arbeitstempo und Engagement im Job am Ende nicht krank machen, ist es hilfreich, die folgenden Basics im Auge zu behalten:
- Auf Pausen während der Arbeitszeit und am Wochenende achten,
- regelmäßig gesund essen und trinken,
- ausreichend schlafen,
- soziale Kontakte pflegen,
- Hobbies wie Sport, Kultur etc. nachgehen,
- Bewegung an der frischen Luft,
- freie Tage und Urlaube einplanen.
Darüber hinaus lohnt es sich, immer wieder die Vogelperspektive einzunehmen, das eigene Leben quasi von außen zu betrachten und sich zu fragen: „Wie geht es mir gerade – beruflich und privat? Wie hoch ist mein Stresslevel? Kann ich eine meiner Aufgaben streichen, delegieren oder vertagen? Welche Methode kann mir genau jetzt helfen, runterzufahren?“
Wenn wir bemerken, dass wir während der Arbeit in die Stressfalle tappen, können schon kurze Übungen helfen, unser Stresslevel wieder zu reduzieren. Beispiele hierfür sind Atemübungen wie die tiefe Bauchatmung, der Blick aus dem Fenster, Dehn-Übungen oder Gymnastik, progressive Muskelentspannung nach Jacobson, das Kneten eines mit Sand gefüllten Anti-Stress- oder Igel-Balls.
Manchmal ist der erste Schritt für mehr Mental Health ganz einfach: Sich selbst eine gute Freundin sein. Denn damit ist schon viel gewonnen.
Kontakt: | kontakt@norahille.de |
Über die Autorin
Nora Hille, Jahrgang 1975, verheiratet, zwei Kinder. Studium Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaften. 12 Jahre Arbeit im Bereich Kommunikation/PR. Aus gesundheitlichen Gründen verrentet. Im August 2023 ist ihr Mutmachbuch „Wenn Licht die Finsternis besiegt. Mit bipolarer Erkrankung Leben, Familie und Partnerschaft positiv gestalten.” bei Palomaa Publishing erschienen.
Als Betroffene und Erfahrungsexpertin schreibt Nora Hille Artikel zu den Themen mentale Gesundheit und psychische Erkrankungen. Außerdem verfasst sie literarische Essays, Gedichte (sehr gerne Haikus) und Kurzprosa. Beim FemalExperts Magazin erscheint regelmäßig ihre Mental Health-Kolumne. Ihre Kolumne „Noras Nachtgedanken“ veröffentlicht sie beim Online-Magazin viaMag – Das Magazin für eine neue Trauerkultur. Anti-Stigma-Arbeit liegt Nora Hille am Herzen: Sie engagiert sich als Mutmacherin bei Mutmachleute e.V. und setzt sich mit ihren Anti-Stigma-Texten gegen die Stigmatisierung (Ausgrenzung) psychisch kranker Menschen in unserer Gesellschaft für mehr Miteinander, Toleranz und Gleichberechtigung ein. Nora Hille ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS).
Auf Instagram zu finden unter: @norahille_autorin