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Bist du ein Male Ally? Warum Männer eine essenzielle Rolle im Kampf um Gleichberechtigung spielen
Dunkel Hell

Bist du ein Male Ally? Warum Männer eine essenzielle Rolle im Kampf um Gleichberechtigung spielen

Dennis Jantsch
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Stell dir eine Welt vor, in der niemand Angst haben muss, nachts alleine nach Hause zu gehen. Eine Welt, in der jede Stimme gehört wird und niemand aufgrund des Geschlechts, der Identität sowie der sozialen Herkunft diskreditiert, ausgeschlossen oder diskriminiert wird. In dieser Welt sind Männer nicht nur stille Beobachter, sondern aktive Akteure für eine gerechtere Gesellschaft. Sie erheben ihre Stimme gegen Ungleichheit, stehen Seite an Seite mit Frauen und allen, die unterdrückt werden. Sie nutzen ihre Privilegien, um Mauern einzureißen, die seit Jahrhunderten Ungerechtigkeit und Ungleichheit symbolisieren. Male Allyship ist der Schlüssel zu dieser Vision – eine Vision, die nicht nur eine bessere Zukunft verspricht, sondern auch die Grundlage für eine Welt legt, in der Empathie, Respekt und Gleichberechtigung die Norm sind.

Die Unsichtbarkeit von Privilegien und die Notwendigkeit des Bewusstseinswandels

Privilegien sind oft für diejenigen unsichtbar, die sie besitzen.

Dies gilt besonders für männliche Privilegien in patriarchal geprägten Gesellschaften, in denen Männer systematisch bevorzugt werden – sei es im Berufsleben, in sozialen Interaktionen oder im Zugang zu Ressourcen. Male Allyship beginnt mit der Anerkennung dieser unsichtbaren Privilegien und dem Willen, sich ihrer bewusst zu werden. Ein zentrales Element ist die kritische Selbstreflexion: Männer erkennen, in welchen Bereichen ihres Lebens sie von diesen Privilegien profitieren, sei es durch Zugang zu Machtpositionen, durch die Dominanz in sozialen Räumen oder durch das geringere Risiko, Opfer von Gewalt zu werden.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dieser Bewusstseinswandel Mut und Bereitschaft erfordert, unbequeme Wahrheiten anzuerkennen: Vor knapp 14 Jahren bin ich als Unternehmensberater und Projektmanager in die Businesswelt eingestiegen. Meiner damaligen Kollegin sprach ich nicht nur ihre Expertise ab, ich empfand ihr Auftreten und ihre Kommunikation als zu dominant. Ich habe es sie wiederholt spüren lassen und so mit meinen Vorurteilen die Chance vertan, sie als Kollegin besser kennenzulernen und mehr von ihrer Lebensrealität zu erfahren. Die Aufarbeitung geschah erst einige Jahre später und es ist oft dieser Moment der Scham sowie der Ungerechtigkeit, der mich bei meinem heutigen Engagement für mehr Geschlechtergerechtigkeit begleitet.

Männer, die sich als Verbündete verstehen, haben gelernt, zuzuhören und die Perspektiven von Frauen sowie anderen marginalisierten Gruppen ernst zu nehmen. Dies beinhaltet ebenso das Verlernen von toxischen Verhaltensmustern und das Ablegen der eigenen Rolle als “Ernährer”, “Retter” oder “Beschützer”, die oft mit traditionellen Männlichkeitsbildern verbunden sind. Stattdessen sollten wir uns als gleichwertige Partner in einer Bewegung für soziale Gerechtigkeit sehen und bereit sein, unsere Position zu hinterfragen und Veränderungen aktiv mitzugestalten.

Foto: Samantha Sophia – unsplash

Geschlechterstereotype: Hindernisse auf dem Weg zur Gleichberechtigung

Gehen wir einen Schritt zurück und werfen einen Blick auf unsere eigene Kindheit und die damit einhergehende Sozialisierung, so fällt auf, dass Geschlechterstereotype tief in unserer Kultur verwurzelt sind und unser Verhalten, oft unbewusst, beeinflusst. Diese Stereotype führen dazu, dass bestimmte Verhaltensweisen als „männlich“ oder „weiblich“ gelten, was die freie Entfaltung der individuellen Persönlichkeit einschränkt und zur Aufrechterhaltung von Ungleichheiten beiträgt. Für Männer, die sich als Verbündete engagieren wollen, ist es entscheidend, diese Stereotype zu erkennen und sich aktiv diesen entgegenzustellen.

Der gefühlslose, unnahbare Mann

Ein weitverbreiteter Stereotyp ist das Bild des „starken, emotional unnahbaren Mannes“. Dieses Bild vermittelt Männern, dass es ihre Aufgabe ist, Stärke zu demonstrieren, Emotionen zu unterdrücken und in jeder Situation die Kontrolle zu behalten. Dies führt nicht nur zu einer Entfremdung von den eigenen Gefühlen, sondern verstärkt auch die Vorstellung, dass Männer per se rationaler und kompetenter seien als Frauen, die als emotional und sensibel wahrgenommen werden. Male Allyship bedeutet in diesem Kontext, sich von diesen überholten Vorstellungen zu lösen und emotionale Intelligenz sowie Empathie als Stärken anzuerkennen und zu fördern.

Der Mann als Versorger

Ein weiteres bedeutendes Stereotyp ist die Idee des „Versorgers“, die Männern die Rolle zuweist, für den finanziellen Unterhalt der Familie verantwortlich zu sein, während der Aufgabenbereich der Frauen auf die Sorgearbeit sowie den Haushalt reduziert wird. Diese traditionelle Rollenverteilung trägt wesentlich zur Geschlechterungleichheit bei, da sie die Karrierechancen von Frauen einschränkt und beide Geschlechter in eine einseitige Rolle drängt. Männer, die sich als Allies (Verbündete) verstehen, setzen sich daher aktiv dafür ein, gleichberechtigte Partner*innenschaften zu fördern, in denen beide Partner*innen gleichermaßen Verantwortung für den Haushalt und die Kindererziehung übernehmen.

Strukturelle Ungleichheiten und der Einfluss von Männerbünden

Strukturelle Ungleichheiten manifestieren sich in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens – von der beruflichen Benachteiligung von Frauen bis hin zur körperlichen, aber auch physischen Gewalt, die Frauen und queere Personen überproportional trifft. Männerbünde, die auf traditionellen Männlichkeitsnormen basieren, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Diese Bünde sind oft exklusive Netzwerke, die Männern Vorteile verschaffen und gleichzeitig Frauen sowie nicht-männliche Geschlechter ausschließen.

Ein bekanntes Beispiel für solche Strukturen ist der sogenannte „Thomas-Kreislauf“, der aufzeigt, wie Unternehmen ihre Führungsetagen immer wieder mit ähnlich gestrickten, männlichen Kandidaten besetzen (Einen spannenden Einblick hierzu gibt die Allbright-Stiftung in ihrem Bericht aus dem Jahr 2017). Diese Männerbünde perpetuieren eine Monokultur, in der abweichende Meinungen und diverse Perspektiven wenig Raum haben. Männer, die sich als Verbündete verstehen, können aktiv dazu beitragen, diese Kreisläufe zu durchbrechen. Dies kann durch das Öffnen von Netzwerken, das Fördern von Diversität in Führungsetagen und das bewusste Hinterfragen von Einstellungs- und Beförderungspraktiken geschehen.

Ein weiterer Aspekt ist die Unterstützung feministischer Organisationen und Initiativen. Male Allies können dazu beitragen, dass feministische Anliegen eine breitere Öffentlichkeit erreichen, indem sie ihre eigenen Plattformen und Netzwerke dafür nutzen. Dies bedeutet auch, dass Männer bereit sein müssen, Macht und Privilegien abzugeben, um Platz für andere zu schaffen. Eine zentrale Herausforderung dabei ist es, nicht in die Falle des „White Knighting“ zu tappen – also Frauen paternalistisch zu „retten“ –, sondern ihnen auf Augenhöhe zu begegnen sowie ihre Führungsrollen anzuerkennen und zu unterstützen.

Foto: Grape_vein – iStock

Gewalt gegen Frauen und der Beitrag von Male Allies

Ein erschreckendes Zeichen für die Dringlichkeit von Male Allyship ist die nach wie vor weit verbreitete Gewalt gegen Frauen. Laut kriminalstatistischer Auswertung des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 2023, wird alle vier Minuten eine Frau Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß des Problems und die Notwendigkeit eines breiten gesellschaftlichen Engagements, um Gewalt zu verhindern und zu bekämpfen. Male Allies spielen hier eine entscheidende Rolle, indem sie sich gegen Gewalt aussprechen, Betroffene unterstützen und eine Kultur der Gewaltlosigkeit fördern.

Quelle: Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben – Hilfetelefon

Eine wichtige Maßnahme besteht darin, das Schweigen zu brechen und sich klar gegen jede Form von Gewalt zu positionieren (Siehe dazu auch: Stop the Baerbock-Bashing, stoppt den Frauenhass!). Männer sollten bereit sein, toxische Verhaltensweisen in ihrem Umfeld zu benennen und einzuschreiten, wenn sie Zeuge von Übergriffen oder gewalttätigem Verhalten werden. Dies erfordert Mut und die Bereitschaft, soziale Risiken einzugehen, um das Richtige zu tun. 

Helfen könnte es, Trainings zu Gender, Antidiskriminierung und Unconscious Bias anzubieten. Besonders im Jugendalter werden so sensible Themen direkt angesprochen:

  • Umgang mit pornografischen und misogynen Inhalten 
  • Unconscious Bias und Stereotype im Alltag
  • Sensibilisierung zu Gewalt gegen Frauen
  • Heutige „Männerbilder“ und Erwartungshaltungen an alle Geschlechter
  • Entwicklung einer eigenen Definition von Männlichkeit
  • Diskriminierungsfreie Kommunikation
  • Intersektionalität und Schnittstellen von Diskriminierung: Gender, ethnische- und soziale Herkunft

Emotionale Arbeit und die Herausforderung der Veränderung

Male Allyship ist nicht nur eine intellektuelle oder moralische Aufgabe, sondern erfordert auch erhebliche emotionale Arbeit. Männer, die sich als Verbündete engagieren, sollten bereit sein, sich mit den eigenen Unsicherheiten, Ängsten und Vorurteilen auseinanderzusetzen. Dieser Prozess kann schmerzhaft und herausfordernd sein, ist aber notwendig, um wirklich tiefgreifende Veränderungen zu erreichen. Ein zentraler Aspekt dieser Arbeit ist das Erlernen von Empathie – die Fähigkeit, sich in die Lage anderer Menschen hineinzuversetzen und ihre Erfahrungen und Gefühle nachzuvollziehen.

Empathie bedeutet in diesem Kontext auch, die eigenen Grenzen zu erkennen und anzuerkennen, dass Männer nicht immer die richtige Antwort oder Lösung parat haben müssen. Jeder braucht Hilfe und Unterstützung von anderen, besonders wenn die Herausforderungen unüberwindbar erscheinen. Das Männerberatungsnetzwerk kann ich hierzu wärmstens empfehlen, besonders da es die individuelle Situation des ratsuchenden Mannes stets in den Mittelpunkt stellt.

Grundsätzlich geht es darum, zuzuhören, zu beobachten und von den Erfahrungen anderer zu lernen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Dies erfordert auch, dass Männer lernen, Kritik anzunehmen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Ein Verbündeter zu sein, ist ein lebenslanger Prozess, der ständiges Lernen und Wachstum erfordert.

Lasst uns gemeinsam in Handlung kommen

Falls du einen ersten Impuls für den Start brauchst, um dich dem Themenfeld „Male Allyship“ anzunähern, bringe ich dir gerne ein paar Tipps mit, wie du loslegen kannst:

  1. Sichtbarkeit schaffen: Teile Beiträge und Artikel von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen und hilf ihnen so, ihre virtuelle Stimme zu stärken.
  2. Lese vielfältige Literatur: Schon einmal ein Buch aus einem anderen Kulturkreis gelesen? Vielleicht von jemandem mit einer Einschränkung oder aus der Perspektive der LBGTQIA+-Community? Erweitere deinen Horizont durch spannende Filme und Bücher.
  3. Gib Raum in Meetings: Stelle sicher, dass Frauen und andere marginalisierte Gruppen in Besprechungen gehört werden. Fordere ihre Meinungen aktiv ein, wenn sie unterbrochen wurden.
  4. Reflektiere deinen Sprachgebrauch: Achte darauf, geschlechtsneutrale oder inklusive Sprache zu verwenden, um niemanden auszugrenzen.
  5. Biete Unterstützung in schwierigen Situationen: Wenn du sexistische oder diskriminierende Bemerkungen hörst, setze dich aktiv dagegen ein, indem du die Situation ansprichst.
  6. Erkenne Privilegien an: Reflektiere darüber, welche Vorteile du durch deine eigene Position hast, und überlege, wie du diese nutzen kannst, um andere zu fördern.
  7. Fördere Frauen in Führungspositionen: Unterstütze Frauen bei der Übernahme von Leitungsrollen, indem du ihre Kompetenzen anerkennst und sie aktiv in diese Positionen bringst.
  8. Sichtbarkeit schaffen: Erwähne die Errungenschaften und Ideen von Frauen und marginalisierten Gruppen in Gesprächen, um ihre Arbeit ins Rampenlicht zu rücken.
  9. Arbeite an deinen Vorurteilen: Nutze Trainings oder Online-Ressourcen, um unbewusste Vorurteile zu erkennen und abzubauen.
  10. Teile Verantwortung im Haushalt: Wenn du in einer Partnerschaft bist, achte darauf, die Verantwortung für Care-Arbeit und Haushalt gerecht zu verteilen.
  11. Netzwerke stärken: Unterstütze Frauen und marginalisierte Gruppen dabei, Zugang zu beruflichen Netzwerken und Mentoring-Programmen zu erhalten.
  12. Sei ein Vorbild: Lebe Male Allyship aktiv vor und inspiriere so andere Männer, ebenfalls Verantwortung zu übernehmen und Veränderungen zu bewirken.

Male Allyship: Kein Nullsummenspiel für Männer

Male Allyship bedeutet nicht, dass Männer Macht oder Einfluss verlieren – im Gegenteil: Es eröffnet neue Möglichkeiten für Zusammenarbeit, Innovation und gegenseitiges Verständnis. Durch die aktive Unterstützung von Frauen profitieren Männer von vielfältigeren Perspektiven, stärkeren Teams und einer gerechteren Arbeitsumgebung, in der alle ihr volles Potenzial entfalten können. Es ist ein Gewinn für alle Beteiligten, der nachhaltigen Erfolg und ein besseres Miteinander fördert.

Foto: That’s Her Business – unsplash

Schlussfolgerung: Male Allyship als transformative Kraft

Male Allyship ist eine mächtige und transformative Kraft, die das Potenzial hat, die Gesellschaft aktiv und positiv mitzugestalten. Es erfordert von Männern, nicht nur ihre eigenen Privilegien zu hinterfragen, sondern auch aktiv an der Schaffung einer gerechteren und gleichberechtigteren Welt mitzuwirken. Dies bedeutet, sich gegen Geschlechterstereotype zu stellen, strukturelle Ungleichheiten zu bekämpfen und eine Kultur des Respekts und der Empathie zu fördern.

Ein entscheidender Schritt in diesem Prozess ist die Bereitschaft, Macht und Privilegien zu teilen und Raum für die Stimmen derer zu schaffen, die aus diversen Gründen jahrhundertelang marginalisiert wurden und immer noch werden. Male Allies haben die Verantwortung, nicht nur als Individuen zu handeln, sondern auch andere Männer zu ermutigen, sich dieser Bewegung anzuschließen. Durch kollektives Handeln und die Unterstützung feministischer Anliegen können sie dazu beitragen, die Gleichstellung der Geschlechter erheblich zu beschleunigen und eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Rechte und Chancen genießen.

Die Reise zu einer gerechteren Welt ist lang und voller Herausforderungen, aber sie beginnt mit kleinen Schritten und dem festen Willen, Veränderungen zum Wohle aller herbeizuführen.

Über die Autorin

Dennis Jantsch
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Ich setze mich für die Gleichstellung von Frauen sowie anderen marginalisierten Gruppen ein. Zeitgleich übernehme ich für mein Geschlecht Verantwortung und engagiere mich für eine diverse, gerechtere sowie feministische Gesellschaft.

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Nora Hille
Nora
23 Tage zuvor

Der Artikel ist super: informativ, motivierend. danke dafür. Fast am gefällt mir, dass unten steht “die Autorin”. 🙂 Gut gebrüllt, lieber Dennis!

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